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Fußball-EM 2024: "Es ist ein Drama": Die EM-Helden von 1988 und der Krieg

Das Logo der UEFA EURO 2024.  picture alliance/dpa | Christian Charisius Bild: picture alliance/dpa | Christian Charisius

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Ein gemeinsames Foto. Oder nur ein Wiedersehen nach mehr als 30 Jahren: Das wird es von diesen EM-Helden wahrscheinlich nie wieder geben. 1988 fand in Deutschland schon einmal eine Fußball-Europameisterschaft statt, und die Mannschaft der damaligen Sowjetunion erreichte das Finale gegen die Niederlande (0:2). 13 Ukrainer, drei Russen und zwei Belarussen gehörten zu dem 20-köpfigen EM-Aufgebot. Der russische Angriff auf die Ukraine hat auch aus diesen langjährigen Teamkollegen so etwas wie Kriegsgegner gemacht.

"Es ist ein Drama", sagt Viktor Pasulko, der seit 34 Jahren in Deutschland lebt und 1988 ein Teil dieses sowjetischen Teams war. Beim Endspiel in München am 25. Juni wurde er damals in der 71. Minute eingewechselt. In der Vorrunde schoss er beim 3:1 gegen England ein Tor.

"Wir waren ein richtiges Team bei dieser EM, eine Einheit. Jeder hat für jeden gekämpft", erzählt er der Deutschen Presse-Agentur. "Ob jemand aus Russland oder der Ukraine kam, aus Georgien oder Armenien: Das war nie ein Thema für uns." Aber seit 2022? Seit dem Beginn des Krieges in der Ukraine? "Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Mannschaft jemals wieder zusammenkommt."

Empfang in Kiew und Moskau

Pasulko ließ seine Karriere einst bei Fortuna Köln und Eintracht Braunschweig ausklingen. Seit 2004 hat er einen deutschen Pass, mit 63 Jahren arbeitet er für die Fußballschule des 1. FC Köln. Aber Pasulko ist auch ein Kind der untergegangenen UdSSR: Geboren ganz im Westen der Ukraine, sportlich groß geworden bei Spartak Moskau. Später war er noch Nationaltrainer von Moldawien sowie Vereinstrainer in Aserbaidschan, Usbekistan und Kasachstan. Pasulko konnte mit allen Spielern von 1988 immer besonders gut und kann das teilweise noch heute.

Die Geschichte dieser Mannschaft ist eng verbunden mit der ihres Trainers Waleri Lobanowski. Der holte deshalb so viele ukrainische Spieler in seine Auswahl, weil er parallel auch das Clubteam von Dynamo Kiew trainierte. Sie kannten seine Methoden und seinen Stil.

Und so warf dieses eingespielte Team in der EM-Qualifikation den Titelverteidiger Frankreich raus und schlug dann bei der Endrunde in Deutschland erst den späteren Finalgegner Niederlande, dann die Engländer und im Halbfinale Italien. "Wir wurden danach in Kiew und in Moskau empfangen", sagt Pasulko. "Alle haben uns gefeiert." Heute undenkbar.

Auch wegen Lobanowski sind viele ukrainische Spieler immer in der Heimat geblieben - selbst nach dem Ausbruch des Krieges. Einer von ihnen floh nach Ungarn (Wassili Raz). Ein anderer lebt in England (Sergei Baltatscha). Aber sonst? Zwei Helden von 1988 trainierten später selbst Dynamo Kiew (Anatolij Demjanenko und Oleksiy Mykhaylychenko). Der Stürmer Oleg Protassow ist jetzt Vizepräsident des ukrainischen Verbandes.

Belanow-Fotos mit Soldaten

Der wohl bekannteste Spieler des Teams ist Igor Belanow, Europas Fußballer des Jahres 1986 und späterer Bundesliga-Profi von Borussia Mönchengladbach. Heute postet er im Internet Fotos, die ihn in Militärkluft, im Kreis ukrainischer Soldaten oder sogar in einem Schützengraben zeigen.

"Er lebt in Odessa, seiner Heimatstadt", sagt Pasulko. "Auf diese Stadt fliegen Bomben und Raketen. Aber er hält dort tapfer aus. Ich bewundere ihn dafür, dass er nicht weggeht. Er ist über 60, er dürfte das." Aber Belanow sei "berühmt in der Ukraine. Er unterstützt die Armee. Seine Fotos mit den Soldaten sind als moralische Unterstützung gedacht."

Ob es jemals ein Wiedersehen der 88er-Mannschaft geben könne, liege allein an den Ukrainern, sagt Pasulko. Sie seien die Angegriffenen in diesem Krieg. Sie müssten das entscheiden.

Niemand sagt etwas gegen den Krieg

Nach Moskau, zu ehemaligen Spartak-Spielern, hat er aber auch noch Kontakt. Obwohl das immer schwieriger werde: "Die Gespräche, die Stimmung untereinander - es ist so angespannt seit 2022", sagt Pasulko und unterscheidet dabei: Zwischen bekannten Sportlern, die den russischen Präsidenten Wladimir Putin aktiv unterstützen. Und anderen, die sich zurückziehen, weil sie womöglich selbst Angst hätten.

"Wir reden nicht mehr so wie früher miteinander. Aber was sollen sie machen?", fragt Pasulko. "Sagen sie etwas gegen den Krieg, gehen sie ins Gefängnis. Deshalb sagt niemand irgendetwas." Er selbst wohne seit langem weit weg, er könne leicht reden. "Aber ich weiß nicht, wie ich mich verhalten würde, wenn ich immer noch in Moskau leben würde."

Sein Verständnis endet bei Karrieren wie der von Wjatscheslaw Fetissow, dem früheren Kapitän der sowjetischen Eishockey-Nationalmannschaft, der seit Jahren zu Putins Machtapparat gehört. "Er hat genug Geld, er hat in Amerika gelebt, er könnte jederzeit gehen", meint Pasulko. Die beiden Belarussen im EM-Team von 1988 wechselten noch während ihrer Karrieren nach Italien (Sergei Aleinikov) und in die USA (Sergei Gozmanov). Sie zogen nie wieder in ihre Heimat zurück.

34 Jahre nach dem Endspiel am 25. Juni 1988 in München wird sich ein solcher Erfolg nie wiederholen lassen. Die Sowjetunion gibt es nicht mehr. Russen und Belarussen sind von internationalen Fußball-Wettbewerben ausgeschlossen. Und das ukrainische Team? "Es ist eine sehr gute Mannschaft", sagt Pasulko. "Aber sie spürt eine Verantwortung für ein ganzes Land im Krieg. Es ist nicht einfach."

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+++ Redaktioneller Hinweis: Diese Meldung wurde basierend auf Material der Deutschen Presse-Agentur (dpa) erstellt. Bei Anmerkungen oder Rückfragen wenden Sie sich bitte an hinweis@news.de. +++

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