XXL-Model Becci: Dick im Geschäft
Von news.de-Mitarbeiterin Annika Einsle, Nürnberg
14.04.2021 20.40
Irgendetwas war schiefgelaufen: Drei Familienpizzen hatte Rebecca Jahn geordert. Jetzt stehen plötzlich zwei Lieferboten vor der Tür des Fotostudios, mit jeweils drei Kartons in der Hand. Eine schnelle Entscheidung muss her. Rebecca, kurz Becci, zahlt beide Bestellungen und stellt die Riesenpizzen auf den Küchentisch. Irgendwer wird schon zugreifen. Bei diesem Fotoshooting ist schließlich alles etwas größer und etwas mehr - XXL sozusagen, wie Becci selbst.
Trotzdem modelt sie. Ein Freund, der als Hobbyfotograf arbeitet, hat sie dazu gebracht. Anfangs waren es Shootings in einer kleinen Kammer. Becci fand Spaß daran und wollte weitere Fotos. Ihren vorherigen Job hat sie aufgegeben.
Seit vier Jahren arbeitet die gewichtige 32-Jährige nun schon als Model, stand für Microsofts Webportal msn.com und den Elektroriesen Philips vor der Kamera. Sie warb für Hill-Rom, den Hersteller der übergroßen Krankenhausbetten, die auch bei TV-Doc House im Krankenzimmer stehen. Für den Dessousshop miss-molly.com lässt sie regelmäßig ihre Hüllen fallen und zeigt sich in kurzen Nachtkleidchen, Stringtanga und Rüschencorsage.
«Mutig» sagen die einen, «ekelhaft» die anderen. Aber das interessiert die 150-Kilo-Frau schon lange nicht mehr. Wenn ihr schräge Blicke zugeworfen werden, dann fragt sie: «Magst du ein Foto oder gleich eine Autogrammkarte?» Rebecca Jahn ist ein fröhlicher Mensch. Sie lacht viel und laut. Ihre Körpermasse kommt dann so richtig in Schwung.
Mehr als Sahnetorte und Mousse au Chocolat
Doch sobald das Licht gedimmt und ein Objektiv auf sie gerichtet ist, zeigt Becci, dass in der Fülle ihres Körpers mehr steckt als Sahnetorte und Mousse au Chocolat. Die dicke Rothaarige hat eine Nische gefunden, die sie nun erfolgreich bedient. Ihr Tagesbudget liegt bei bis zu 1000 Euro. Ihr Umfang sorgt für Aufsehen in der Modelbranche. Bei Andreas Neubauer zum Beispiel, der mit Angelina Jolie, Götz George und Morgan Freeman schon die ganz Großen vor der Fotolinse hatte. Auch sie dürfe sich nun in die Liste einreihen, erzählt Becci und tupft sich ein paar Schweißtropfen von der Stirn.
Das Model sitzt in einem Fotostudio in Nürnberg. Zweimal im Jahr mietet Becci diese Location und organisiert Shootings für Damen mit ähnlichen Maßen. Ungeniert können sich die Pfundsfrauen fotografieren lassen, ohne Hemmungen oder schräge Blicke. Solch ein privates Shooting kostet zwischen 200 und 250 Euro inklusive Styling und einer DVD mit allen Fotos.
Im Kühlschrank steht eine große Schale Tiramisu und zwischen den Pizzakartons liegt eine XXL-Tüte Weingummis auf dem Tisch. «Die hab ich immer da - Nervennahrung», sagt Becci und steckt sich einen der bunten Gummis in den Mund. Dann geht sie in die Maske.
In den vergangenen Jahren hat sich die Wienerin, die im Ruhrpott aufgewachsen ist, ein kleines Team zusammengestellt: Fotografen, die immer wieder dabei sind, Stylisten, die fönen, kämmen und mit Haarlack um sich sprühen, und Eszter, Beccis persönliche Visagistin. Eszter Schratzer hat schon bei der Musikshow The Dome den Schminkpinsel geschwungen und Thomas Gottschalk für Wetten, dass..? zurechtgemacht. Jetzt tuscht und pudert sie Becci.
Auge in Auge mit dem Tod
Eine Katze soll es werden. Becci hat genaue Vorstellungen, hält ein Blatt in die Höhe, auf dem der Katzenstyle zu sehen ist, den sie sich wünscht. Gold- und Schwarztöne sollen die Augen betonen, ein rotes Haarteil mehr Volumen in ihr dünnes Haar bringen. Becci lässt sich auf den Stuhl plumpsen und legt ihren Fuß auf den Mülleimer. Ihre fleischigen Arme verschränkt sie auf dem Bauch.
Sie trägt eine schwarze Corsage mit silbernen Ornamenten. Kleidergröße 58. Harry, einer der Fotografen hat sie ihr geschnürt. «Ohne Mitleid», hat Becci vorher gesagt. Harry hat die Fäden aus den unteren Löchern am Rücken des Oberteils herausgenommen. Sie wären sonst zu kurz gewesen. Dann hat er ordentlich gezogen und Becci hat leicht aufgestöhnt. Trotzdem sagt sie:«Es gibt nichts Besseres für eine dicke Frau, als dass sie sich in eine Corsage schnüren lässt. Sicher ist es nicht so angenehm mit der Luft, aber man hat endlich mal eine Figur.»
Das war für Becci die Lebenswende
Mit jedem Shooting hat Becci Selbstvertrauen gesammelt und gemerkt, dass sie sich nicht verstecken muss. Freunde haben ihr immer wieder Mut gemacht - Unterstützung, die Becci von ihrer Familie nicht bekommen hat. Sie ist ein Scheidungskind, hat fünf Geschwister. Da wird man nicht jedem Einzelnen gerecht. Den Frust hat sie mit Gängen zum Kühlschrank verscheucht. Immer wieder, bis es fast zu spät war.
Heute trägt Becci ein Magenband, das sie bremsen soll beim Essen. 180 Kilo wog sie zu Spitzenzeiten, 30 hat sie durch das Magenband bereits abgenommen. Die magische 100 auf der Waage ist ihr Ziel, 50 weitere Kilo müssen also noch runter. «Dann bin ich zwar immer noch nicht schlank, aber das werde ich in diesem Leben sowieso nicht mehr», sagt sie und lacht kurz und laut auf. Dann wird sie ganz ernst. Das Magenband war ihre letzte Rettung, sagt sie. Die Ärzte haben ihr mit 25 noch ein halbes Jahr zu leben gegeben. Betretenes Schweigen, ein gewichtiger Blick. «Und da habe ich dann auch nicht dreimal überlegt, sondern direkt eingewilligt.»
«Beth Ditto?Klein, dick und provokant»
Becci möchte ein Vorbild sein, anderen zeigen, dass sie sich als dicke Menschen nicht verstecken müssen. Immer wieder wird sie gefragt, was sie von Beth Ditto halte, der pfundigen Frontfrau von Gossip. «Beth Ditto?», fragt Becci und lacht. «Sie ist klein, dick und provokant.» Keine Frage, Becci findet es gut, dass Ditto zu sich steht. Aber sie treibe es manchmal einfach zu weit, wenn sie auf der Bühne ihren Bauch in die Kameras halte.
Und die andere Seite, der Quotenbringer Germany's Next Topmodel? «Schrecklich», sagt das pfundige Model. Dort werde einfach nur Druck auf die Jugend ausgeübt - ganz nach dem Motto «Ihr müsst Hungerhaken sein, sonst seid ihr nicht hübsch».
Becci macht sich nichts aus diesem Magerwahn. In die Corsage geschnürt und mit mehreren Puderschichten bedeckt, lässt sie sich auf einem Stuhl nieder. Freundin Patti hilft ihr in die halterlosen Strümpfe und drappiert einen langen Streifen schwarzen Tüll um ihre Hüften.
Becci kann nicht verstehen, was Männer an dicken Frauen, an ihren Bäuchen und Hintern finden. Natürlich freut sich die 150-Kilo-Frau, wenn Männer ihr Interesse bekunden. Sie selbst hat bei den Herren der Schöpfung allerdings lieber ein paar Muskeln in den Händen. «Ein Bauch im Bett reicht - und das ist meiner», sagt Becci. Und wie zur Bestätigung wippt ihr Bauch auf und ab, als sie ein weiteres Mal an diesem Tag zu lachen beginnt. Ihr Stück Pizza ist inzwischen kalt. Sie hat nur dreimal davon abgebissen.
bjm/ham/news.de