Für Frischverliebte: «Liebe macht doof»
Von news.de-Redakteurin Corina Broßmann
21.03.2019 15.12
Herr Eichhammer, gibt es nicht schon genug Liebesratgeber?
Michael Eichhammer: Es gibt mehr als genug Ratgeber, die sich den Krisenzeiten oder dem Ende einer Liebe widmen. Die Anfangsphase einer emotionalen Bindung jedoch scheint offensichtlich [tt=Lateinisch für: unbekanntes Land]Terra incognita für Autoren zu sein. Diese Lücke zu füllen, reizte mich ungemein.
Woran merke ich, dass ich verliebt bin? Was sind die sichersten Anzeichen?
Eichhammer: Andere Menschen sprechen einen auf die plötzlich bemerkenswert gute Laune an. Sie erkennen den Charme von Musik, die sie bisher als zu kitschig empfunden hatten. Die andere Person macht einen nervös. Man wartet auf seinen/ihren Anruf. Die Gedanken kreisen ständig um die neue Flamme - und damit einhergehend kommt es zu einer Konzentrationsschwäche, wenn es um andere Dinge, beispielsweise die Arbeit, geht. Bei Liebesfilmen stellen Sie sich Ihr Objekt der Begierde und Sie in den Hauptrollen vor. Oder Sie fragen sich, was Ihre Eltern von ihm oder ihr halten würden.
Warum brauchen Frischverliebte Erste Hilfe?
Eichhammer: Der Weg von der Verliebtheit zur Liebe ist voller Stolpersteine und wer die richtigen Weggabelungen verpasst, kommt nie am Ziel an. Das Navigieren wird dummerweise dadurch erschwert, dass Frischverliebte eine rosarote Brille aufhaben. Und das auch nur, wenn sie Glück haben. Viele tragen sogar eher einen Sack über dem Kopf, der sie völlig blind macht.
Was wären Ihre drei Grundregeln, die es beim Verlieben zu beachten gibt?
Eichhammer: Erstens: Ehrlich zu sein - zum anderen und zu sich selbst. Ein Mann, der sich für einen Abend den Porsche eines Kumpels ausleiht, wird nicht die Frau anziehen, die zu ihm passt. Ein Mauerblümchen, das die Rolle des Vamps übt, ebenso. Wir wollen alle das Gleiche: den Menschen finden, der uns so liebt wie wir sind. Der wiederum kann uns nur finden, wenn wir uns von Anfang an so zeigen, wie wir wirklich sind.
Zweitens: Vergangenheitsbewältigung üben, denn unser Liebsballon kann erst zu Wolke Sieben aufsteigen, wenn wir den emotionalen Ballast ehemaliger Beziehungen abwerfen. Nur so können wir unbewusste Automatismen im Verhalten und unbewusste negative oder überzogen positive Erwartungen verhindern.
Drittens: Erst mal in sich selbst verlieben, dann in den anderen. Mangelndes Selbstbewusstsein macht uns die Liebe in allen Phasen schwer: Beim Kennenlernen ziehen Selbstbewusste deutlich mehr potentielle Partner an als mentale Mauerblümchen. Auch in der Partnerschaft wird es anstrengend, wenn jemand sich andauernd selbst in Frage stellt. Selbst der glühendste Verehrer wird auf Dauer von den permanenten Selbstzweifeln des Anderen genervt sein.
Und die drei absoluten No-Gos?
Eichhammer: Da wären zunächst hohe Erwartungen: Große Gefühle müssen langsam wachsen. Wer alles auf einmal will, kann nur enttäuscht werden. Nicht immer ist es Liebe auf den ersten Blick.
Zweitens sind falsche Themen bei den ersten Dates eine Hürde: Der/die Ex ist ein Tabuthema für die ersten Treffen. Auch allzu frühe Erwähnung der Themenbereiche Hochzeit und Kinderplanung wirken schnell etwas verzweifelt.
Und drittens: Die berühmte Suche nach dem Seelenverwandten, der einen wortlos versteht und jeden Wunsch von den Lippen abliest. Diese falsche Erwartung ist ein Klassiker in Beziehungskrisen. Wer keinen Hellseher als Partner hat, muss leider erklären, was er denkt, fühlt und will.
Welche Trost-Tipps würden Sie einseitig Verliebten geben?
Eichhammer: So seltsam es klingt: Nehmen Sie es nicht persönlich! Fangen Sie nicht an, an Ihrem Marktwert zu zweifeln, sondern nehmen Sie den Korb als bedauerlichen Einzelfall. Oft hat die Abfuhr nämlich gar nichts mit Ihnen zu tun, sondern mit den Altlasten, die der andere mit sich herumträgt. Eine emotional nicht abgeschlossene Ex-Beziehung beispielsweise oder gar eine nicht abgeschlossene aktuelle Beziehung. Das ist aber natürlich leichter gesagt als getan.
Darüber hinaus macht Verliebtsein süchtig. Wenn ein Korb Ihrem biochemischen Höhenflug ein jähes Ende bereitet, tut das weh. Sie sind auf Entzug. Suchen Sie sich daher andere Dinge, die sie so glücklich machen wie die Person, die Sie verschmäht hat. Schokolade ist ein guter Anfang.
Der härteste Teil des Loslösungsprozesses: Halten Sie sich vor Augen, dass die andere Person Ihre Gefühle nicht erwidert hat. Die logische Schlussfolgerung daraus muss sein: Es kann nicht der/die Richtige gewesen sein, denn dazu gehören immer zwei.
Sie schreiben «Liebe macht doof». Sind Ihrer Meinung nach wirklich alle Neuverliebten unzurechnungsfähig?
Eichhammer: Das ist natürlich bewusst provozierend formuliert, ändert aber nichts an der Tatsache, dass Liebe und rationales Denken sich in der heißen Phase des Kennenlernens nahezu ausschließen.
Woran liegt das?
Eichhammer: Vor allem an den biochemischen Vorgängen, welche die Verliebtheit initiieren. Sie versetzen unsere Psyche in den Zustand von Zwangsneurotikern. Mit dem Liebesschwur «Ich bin verrückt nach dir» spricht man ein wahres Wort gelassen aus.
Welche Studien bestätigen diese Theorie?
Eichhammer: Unzählige. Eine jedoch finde ich besonders eindrucksvoll: Die italienischen Psychiaterin Dr. Donatella Marazziti von der Uni Pisa erinnerte die für Frischverliebte typische besessene Fixierung auf das Objekt der Begierde an das Verhalten von Zwangsneurotikern. Nachdem Letztere mit ungewöhnlich niedrigen Serotoninwerten einhergehen, verglich sie Verliebte und Zwangsneurotiker und wies bei beiden Testgruppen einen um 40 Prozent niedrigeren Serotoninspiegel auf als bei durchschnittlichen Normalbürgern. Viele weitere Studien beweisen, dass der Volksmund wie so oft schon vorher wusste, was die Forschung später herausfindet - nämlich: Die Chemie muss stimmen.
Haben Sie auch aus eigenen Fehlern gelernt?
Eichhammer: Da ich in diesem Jahr geheiratet habe und Vater geworden bin und beides mich sehr glücklich macht, würde ich definitiv «ja» sagen. Denn bevor ich nicht meine eigenen Macken in den Griff bekam, konnte ich nicht die Richtige finden, sondern nur immer wieder die Falschen anziehen. Bevor man nicht mit sich selbst glücklich ist, wird sich jeder potentielle Mr. Right als Mr. Rightnow entpuppen und jede vermeintliche Traumfrau in einen Albtraum verwandeln. Darüber hinaus muss man aber auch aktiv die rosarote Brille putzen. Genau das will auch mein Ratgeber Erste Hilfe für Frischverliebte sein: ein Putztuch für die rosarote Brille.
Lesetipp: Erste Hilfe für Frischverliebte; Michael Eichhammer; Klett-Cotta-Verlag; 232 Seiten; 9,95 Euro.
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