Mirjam Müntefering: «Es ist ja auch mein Name»
Von news.de-Redakteurin Julia Zahnweh
01.03.2021 17.15
In Ihrem Buch Tochter und viel mehr erzählen Sie, dass sich Ihr Vater, als Sie sechs Jahre alt waren, ein Zitat von Ihnen aufgeschrieben hat: «Ich bin ich, und ich hab' s zu sagen mit mir». Ist das Ihr Lebensmotto?
Müntefering: Ja, ein bisschen schon. Ich bin eher eine Individualistin, was meinen Lebensweg angeht. Ich habe ja zwei meiner Hobbys zum Beruf gemacht, das Schreiben und die Hunde.
Warum sind Sie Schriftstellerin geworden?
Müntefering: Schon als Kind habe ich immer gesagt, dass ich später gerne ein Buch schreiben will. Dabei schwebte mir eine Verbreitung wie die der Bibel vor. Aber auch Löwen im Zirkus zu dressieren, konnte ich mir damals sehr gut vorstellen.
Heute sind Sie eine erfolgreiche Buchautorin, politisch engagierte Feministin und führen eine Hundeschule. Erfolgreich genug, um mehr zu sein als nur die Tochter. Welche Ihrer Berufungen ist Ihnen die wichtigste?
Müntefering: Wenn ich zwischen dem Schreiben und der Hundeschule wählen müsste, würde ich mich immer für ersteres entscheiden. Die Arbeit mit den Hunden macht zwar wahnsinnig viel Spaß und hält mich auch im Gleichgewicht, weil man beim Schreiben ja auch gerne im eigenen Sumpf rumwartet, aber die Hundeschule soll mich vor allem über Wasser halten. Auch ich kann von der Schriftstellerei alleine nicht leben.
Was sind die zentralen Themen Ihrer Bücher?
Müntefering: In meinen Büchern geht es meist um die Liebe und Freundschaft zwischen Frauen. Gerade in meinen Jugendbüchern, aber auch in den Erwachsenenbüchern spielt das Zusammenhalten unter Freundinnen eine große Rolle. Mir selbst sind meine Freundinnen wahnsinnig wichtig.
In Ihren Jugendbücher geht es auch um die Liebe zwischen Frauen. Ist es für Mädchen heute einfacher sich zu outen als zu Ihrer Zeit?
Müntefering: Ja, auf jeden Fall. Für die Mädchen ist es viel einfacher geworden, weil es viel mehr Anlaufstellen gibt. Vor kurzem hatte ich eine Lesung in einem lesbischen Jugendtreff. Soetwas hat es vor zwanzig Jahren nicht gegeben, da musste man sich noch mühsam aus seinem Sumpf herauswühlen und schauen, wo es noch andere lesbische junge Frauen gab.
Bekommen Sie von Mädchen Feedback, ob Ihre Bücher ihnen beim Outing geholfen haben?
Müntefering: Ja, viele schreiben mir, dass die Bücher ihnen geholfen haben, sich selbst zu verstehen. Manche geben die Bücher auch ihrer Mutter, damit auch sie ihre lesbische Tochter besser verstehen kann.
Sie engagieren sich seit Jahren für die gesetzliche Gleichberechtigung von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften, haben selbst Ihre Partnerin dieses Jahr geheiratet. Wie geht es lesbischen und schwulen Paaren 2009 in Deutschland?
Müntefering: Es wird langsam besser. Vor ein paar Monaten hat es ja noch eine Verbesserung gegeben, was die Erbschaftssteuer angeht. Es gibt aber noch Benachteiligung, zum Beispiel was die Adoption von Kindern angeht. Was steuerliche Erleichterungen betrifft, bin ich der Meinung, dass sich das in die Richtung entwickeln wird, dass Menschen, die Kinder haben, egal ob sie hetero oder homosexuell sind oder alleinerziehend oder eine Patschworkfamilie haben, hier begünstigt werden. Warum müssen Paare ohne Kinder mit einem Trauschein steuerlich entlastet werden?
Sie selbst sagen von sich, dass Sie Spartenliteratur schreiben. Schaut man sich aber Ihren aktuellen Roman Liebesgaben an, in dem Sie der Frage nach der Monogamie nachgehen, ist das kein klassisches Lesben-Thema. Wollen Sie sich aus dieser Spartenliteratur herausentwickeln?
Müntefering: Ich habe gesagt, dass ich Spartenliteratur schreibe, weil alle mich so behandeln. Mein Ziel ist Bücher zu schreiben, in denen der Plot das wichtige ist. Die Geschichte soll im Vordergrund stehen und nicht die sexuelle Orientierung der Protagonisten. Das wünsche ich mir nicht nur für meine Büchern, sondern für die gesamte Literatur. Und Liebesgaben ist ein erster Versuch von mir, in diese Richtung zu gehen.
In ihrem Buch Tochter und viel mehr beschreiben Sie, dass Sie vom deutschen Fernsehen sehr enttäuscht sind und deswegen Ihren Job als Fernsehredakteurin aufgegeben haben. Was genau hat Sie beim Fernsehen abgeschreckt ?
Müntefering: Fernsehen ist verlogen und es wird zu oft von Fernsehjournalisten verlangt, über Grenzen anderer Menschen zu gehen. Bei Printmedien ist das natürlich auch so. Damit wollte ich nichts mehr zutun haben. Man muss nur nachmittags den Fernseher anmachen und schauen, was einem dort geboten wird. Die Journalisten argumentieren immer damit, dass es hierfür eine Nachfrage gibt. Meine Antwort ist dann immer:« Es gibt auch Leute, die gerne mal Menschenfleisch probieren würden. Da gibt es auch eine Nachfrage.» Als Journalist muss man nicht immer alles bedienen.
In einem Artikel schreiben Sie, dass Sie sich wünschen, dass Ihnen eines Tages die Frage gestellt wird: «Ist Franz Müntefering Ihr Vater?» Ist der Wunsch bereits in Erfüllung gegangen?
Müntefering: Das ist eine Frage von Subjekt und Objekt. Natürlich werde ich die meiste Zeit gefragt, «Sind Sie die Tochter?» Wenn jemand fragt «Ist Franz Müntefering Ihr Vater?», hat das eine ganz andere Gewichtung. Es ist ja auch mein Name. Ich finde es immer klasse, wenn mein Vater den umgekehrten Fall erlebt. Im August hat er auf dem CSD in Köln eine Rede gehalten und vor der Bühne stand eine Frau, die die ganze Zeit rief: «Mirjam, Mirjam». Und mein Vater hat dann geantwortet: «Ja, Ja. Ich erzähle ja gleich etwas von meiner Tochter.» Als er mir das erzählt hat, habe ich schallend gelacht und gesagt: Das geschieht Dir Recht. Ich werde auch immer auf Dich angesprochen.
reu/news.de