Streit um Wehrpflicht: "Befinden uns nicht mehr im Frieden!" Experte warnt vor Bundeswehr-Implosion

Deutschland steht vor enormen sicherheitspolitischen Herausforderungen. Ohne Reform drohe die Bundeswehr zu "implodieren". Bild: picture alliance/dpa | Hannes P Albert
Erstellt von Anika Bube
03.04.2025 09.54
- Deutschland steht vor sicherheitspolitischen Herausforderungen
- Verbandschef warnt vor Bundeswehr-Implosion
- Neue Wehrpflicht gefordert
Deutschland steht vor enormen sicherheitspolitischen Herausforderungen. Der deutsche Geheimdienst BND warnt vor einem russischen Angriff auf die Nato. Doch die Zahl der Soldaten in Deutschland sinkt. Der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, André Wüstner, warnt mit drastischen Worten vor einem drohenden Kollaps der deutschen Streitkräfte.
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Wüstner warnt Koalitionsverhandler vor Bundeswehr-Implosion
Der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, André Wüstner, hat Union und SPD vor folgenschweren Planungsfehlern gewarnt. "Das Thema Personal für die Bundeswehr wurde noch nicht als strategische Herausforderung erkannt und entsprechend nicht im Entwurf des Koalitionsvertrags benannt", sagte Wüstner der Deutschen Presse-Agentur in Berlin.
"Gelingt kein signifikanter personeller Aufwuchs in den nächsten Jahren, wird die Bundeswehr implodieren! Immer mehr Aufträge für immer weniger Soldaten führen in einen Teufelskreis, aus dem die Bundeswehr kaum noch herauskommen wird", warnte er.
Der Verbandschef, der die Interessen von rund 200.000 Soldaten und Zivilbeschäftigten vertritt, beschrieb einen gefährlichen "Teufelskreis" aus immer mehr Aufträgen für stetig weniger Personal. Besonders alarmierend: Das Thema Personal sei noch nicht als strategische Herausforderung erkannt und entsprechend nicht im Entwurf des Koalitionsvertrags benannt worden. Wüstner betonte, dass ohne entschiedenes Gegensteuern die Bundeswehr "kaum noch herauskommen wird" aus dieser kritischen Situation.
Bundeswehr schrumpft trotz Personalwerbung
Die Zahlen bestätigen Wüstners Alarmruf: Trotz verstärkter Bemühungen um neue Rekruten sinkt die Personalstärke der Bundeswehr kontinuierlich. Zum Jahreswechsel zählte die Truppe nur noch rund 181.150 Soldatinnen und Soldaten - ein deutlicher Rückgang gegenüber den 183.050 Ende 2022. Gleichzeitig altert die Bundeswehr spürbar. Das Durchschnittsalter ist von 32,4 Jahren Ende 2019 auf mittlerweile 34 Jahre gestiegen. Diese demografische Entwicklung verschärft die Personalprobleme zusätzlich.
Der Bedarf an zusätzlichen Kräften ist dabei enorm. Experten beziffern allein für das Heer einen zusätzlichen Personalbedarf von 35.000 bis 45.000 Personen für die kommende Dekade. Hinzu kommen die Anforderungen der anderen Teilstreitkräfte. Der Generalinspekteur hat aus den Nato-Zusagen sogar einen Gesamtbedarf von 460.000 Soldaten und Reservisten abgeleitet.
Streit um Wehrpflicht zwischen Union und SPD
In den laufenden Koalitionsverhandlungen zeichnet sich ein grundsätzlicher Konflikt in der Personalfrage ab. Die Union strebt die Wiederaufhebung der 2011 beschlossenen Aussetzung der Wehrpflicht an. Die SPD hingegen beharrt auf dem Prinzip der Freiwilligkeit und fordert eine breite gesellschaftliche Diskussion über einen neuen Wehrdienst.
Der geschäftsführende Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hatte bereits in der vergangenen Legislaturperiode einen Gesetzentwurf für ein neues Wehrdienstmodell vorgelegt. Dieser sah vor, dass junge Männer verpflichtend Auskunft über ihre Bereitschaft und Fähigkeit zum Militärdienst geben müssten. Wüstner unterstützt diesen Ansatz: "Auf jeden Fall sollte man noch in diesem Jahr mit der von Boris Pistorius angedachten Erfassung und Musterung beginnen."
Wüstner fordert neue Art der Wehrpflicht
Der Bundeswehrverbandschef macht deutlich, dass ohne strukturelle Änderungen die Personalprobleme nicht zu lösen sind. "Klar ist auch, dass weder die notwendige Aufwuchsfähigkeit noch die Bildung einer leistungsfähigen Reserve ohne eine neue Art der Wehrpflicht, vergleichbar mit dem schwedischen Modell, zu erreichen ist", betonte Wüstner.
Er entkräftet dabei Bedenken, eine Wehrpflicht könnte militärische Konflikte befördern. Im Gegenteil diene sie "der Abschreckung und damit einem Leben in Frieden und Freiheit". Gleichzeitig warnt der Verbandschef davor, zu sehr auf finanzielle Mittel zu vertrauen: "Ein steigender Verteidigungshaushalt ist eine gute Grundlage, macht aber nicht allein glücklich."
Für eine erfolgreiche Reform brauche es Mut zu echten Weichenstellungen und keine Angst vor "teils disruptiven Prozessen". Die Hauptprobleme sieht Wüstner in "Überregulierung und Zentralisierung", die sowohl das Land als auch die Streitkräfte lähmen.
Sicherheitspolitische Herausforderungen in instabiler Weltlage
Die Personalprobleme der Bundeswehr treffen auf eine zunehmend angespannte sicherheitspolitische Lage. "Wir befinden uns schon lange nicht mehr im Frieden, aber auch nicht im Krieg, sondern in einer hybriden Phase", warnt Generalleutnant André Bodemann laut "RP-Online". Die Bedrohungslage wird durch mögliche Veränderungen bei den US-Streitkräften in Europa weiter verschärft. Wüstner weist darauf hin, dass die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands auch davon abhängen werde, ob US-Präsident Donald Trump die bisherigen US-Streitkräfte vollständig in Europa belässt "oder wie erwartet, weiter ausdünnen wird".
Experten sind sich einig: Die Zeit drängt. Die Stärkung der Verteidigungsfähigkeit Deutschlands werde nur gelingen, "wenn dies nicht erneut nur ein Projekt des Verteidigungsministers, sondern der Bundesregierung als Ganzes ist", betont Wüstner.
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bua/fka/news.de/dpa/stg