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Israel-Gaza-Konflikt: Israel will Bodeneinsatz ausweiten - UN-Hilfswerk spricht von "Hölle auf Erden" in Gaza

Israelische Soldaten versammeln sich nahe der Grenze zum Gazastreifen im Süden Israels. (Aufnahmedatum: 24.10.2023) Bild: picture alliance/dpa/AP | Ohad Zwigenberg

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Bei dem Großangriff der Hamas am 7. Oktober in Israel sind mehr als 1.400 Menschen getötet worden. Mehr als 200 Geiseln wurden in den Gazastreifen verschleppt. Seither bombardiert Israel massiv Ziele im Gazastreifen, wodurch nach Angaben der Hamas bereits etwa 7.326 Palästinenser getötet worden seien, darunter Tausende Kinder (3.038). Das israelische Militär mobilisierte rund 300.000 Reservisten und zog für eine mögliche Bodenoffensive Kräfte in der Nähe des Gazastreifens zusammen. Nun hat die Israels Armee angekündigt, ihre Bodeneinsätze im Gazastreifen auszuweiten.

Israels Armee kündigt Ausweitung der Bodeneinsätze in Gaza an

Das teilte Militärsprecher Daniel Hagari am Freitagabend auf der Plattform X, vormals Twitter, mit. In den letzten Stunden habe das Militär seine Angriffe im Gazastreifen bereits verstärkt. Es würden vermehrt unterirdische Ziele und terroristische Infrastruktur angegriffen, erklärte er weiter. Die Hamas wird von der EU und den USA als Terrororganisation eingestuft.

Es blieb zunächst unklar, ob die Ankündigung den Beginn der weithin erwarteten Bodenoffensive des israelischen Militärs darstellte. Das israelische Militär hatte zuvor bereits vereinzelte, zeitlich eng begrenzte Vorstöße am Boden gemacht.

Medienberichte deuteten am Freitagabend auf massive israelische Bombenangriffe im Gazastreifen hin. Berichten zufolge fiel auch das Internet in dem abgeriegelten Küstenstreifen mit mehr als zwei Millionen Einwohnern aus. Auch der Internet-Monitor Netblocks sprach in einem Post auf der Plattform X von einem Zusammenbruch der Internet-Verbindungen.

Israelische Soldaten gehen für Angriff im Gazastreifen an Land

Das israelische Militär hat bei weiteren begrenzten Vorstößen im Gazastreifen nach eigenen Angaben Dutzende von Stellungen der Hamas angegriffen. Wie die Armee am Freitagmorgen auf Telegram berichtete, attackierten am Vortag von Kampfflugzeugen und Drohnen flankierte Bodentruppen unter anderem Abschussrampen für Panzerabwehrraketen, Kommandozentralen sowie Hamas-Mitglieder. Anschließend hätten die Soldaten das Kampfgebiet unversehrt wieder verlassen. Auch in der vorherigen Nacht hatten israelische Kampfpanzer im Norden einen Vorstoß unternommen.

Israels Militär hatte in den vergangenen rund drei Wochen bereits mehrere solcher begrenzten Vorstöße in den Gazastreifen unternommen. Sie gelten als Vorbereitung für eine geplante Bodenoffensive Israels.

UN-Hilfswerk spricht von "Hölle auf Erden" im Gazastreifen

Währenddessen ist die Lage für die Zivilbevölkerung der Palästinenser in Gaza bereits seit Tagen dramatisch und scheint sich weiter zu verschärfen. Das UN-Hilfswerk für Palästinensische Flüchtlinge (UNRWA) warnt angesichts der Blockade des Gazastreifens durch Israel vor noch deutlich mehr Todesopfern wegen ausbleibender Hilfslieferungen. "Viel mehr werden sterben durch die Folgen der Belagerung", sagte der Generalkommissar des UN-Palästinenserhilfswerks UNRWA, Philippe Lazzarini, am Freitag. Essen, Wasser und Arzneimittel würden knapp, Straßen im Gazastreifen seien mit Abwasser überflutet. "Wir können diese menschliche Tragödie nicht mehr ignorieren", sagte Lazzarini, und sprach von einer "Hölle auf Erden".

Die Versorgungslage im Gazastreifen war schon vor der neuen Eskalation sehr schlecht. Etwa 1,3 Millionen Menschen waren zuvor auf humanitäre Hilfe angewiesen. Die Lage der Bevölkerung, die schon vorher vielfach mit Armut, Unterernährung und schlechter ärztlicher Versorgung zu kämpfen hatten, hat sich durch die Kämpfe der islamistischen Hamas und Israels Armee nun noch verschlimmert. Fast die Hälfte der 2,2 Millionen Menschen im Gazastreifen sind Kinder.

"Nichts mehr als Krümel": UN-Hilfswerk betont Lebens- und Hilfsmittel-Knappheit in Gaza

UNRWA habe den Verbrauch mit dem knapp werdenden Treibstoff bereits deutlich reduziert. "Was muss mehr unterstützt werden? Bäckereien? Lebenserhaltende Geräte in Krankenhäusern? Wasserwerke? Sie alle müssen funktionieren", sagte Lazzarini. Die Hilfsgüter von einigen Dutzend Lastwagen, die bisher im Gazastreifen ankamen, würden inzwischen von den eigentlichen Problemen ablenken. "Diese paar Lastwagen sind nichts mehr als Krümel, die für zwei Millionen Menschen keinen Unterschied machen werden."

Auch die UNRWA-Mitarbeiter stünden unter immer größeren Belastungen, sagte Lazzarini. Bisher seien 53 von ihnen getötet worden. 15 dieser Todesfälle seien an einem einzigen Tag bestätigt worden. Ein UN-Kollege sei auf dem Weg zur Bäckerei getötet worden und hinterlasse sechs Kinder. Lazzarini forderte eine humanitäre Feuerpause, um die notleidende Bevölkerung besser zu versorgen. "Was wir brauchen, ist ein bedeutender und ununterbrochener Fluss von Hilfe."

Das fordert auch UN-Generalsekretär António Guterres. Vor dem Hamas-Angriff auf Israel seien etwa 500 Lastwagen voller Hilfsgüter täglich in den Gazastreifen gekommen, sagte er laut Mitteilung am Freitag in New York. In den vergangenen Tagen seien es nur etwa zwölf pro Tag gewesen - und das, obwohl der Bedarf "viel größer als jemals zuvor" sei. Den Vereinten Nationen zufolge sind für die Versorgung der gut 2,2 Millionen Menschen im Gazastreifen rund 100 Lkw-Ladungen täglich nötig.

Guterres: Humanitäres System in Gazasteht vor einem totalen Kollaps

Außerdem sei kein Treibstoff mehr darunter gewesen, obwohl dieser beispielsweise von Krankenhäuser dringend benötigt werde, sagte Guterres. "Das humanitäre System in Gaza steht vor einem totalen Kollaps mit unvorstellbaren Konsequenzen für mehr als zwei Millionen Zivilisten."

Die Logistik der Hilfslieferungen müsse sich ändern und verbessern, forderte Guterres. So müsse beispielsweise die Überprüfung am Grenzübergang zu Ägypten "angepasst" werden, damit mehr Lastwagen ohne Verzögerungen in den Gazastreifen hineinfahren könnten. Guterres rief zudem erneut zu einem humanitären Waffenstillstand und der bedingungslosen Freilassung aller Geiseln auf.

Sprecher: Israel lehnt humanitäre Feuerpausen "derzeit" weiter ab

Auch die EU-Staaten fordert eine Feuerpause im Gazastreifen. Israel hat sich jedoch dagegen ausgesprochen. "Israel lehnt einen humanitären Waffenstillstand derzeit ab", sagte ein Sprecher des israelischen Außenministeriums am Freitag. Dazu zähle "jegliche Art von geforderten Feuerpausen". Gleichwohl wies er darauf hin, dass das Land grundsätzlich jedoch erlaube, "dass humanitäre Hilfe in den Gazastreifen gelangt, solange sie nicht in den Händen von Terroristen der Hamas landet".

Am Donnerstagabend hatten die Staats- und Regierungschefs der EU in einer Gipfelerklärung "humanitäre Korridore und Pausen für humanitäre Zwecke" im Gazastreifen gefordert. Die Erklärung des Gipfels, der ein heftiger Streit vorausgegangen war, stellte einen Kompromiss dar und sollte deutlich machen, dass die EU Israel nicht auffordert, den Kampf gegen die islamistische Hamas im Gazastreifen mit sofortiger Wirkung einzustellen.

Der französische Präsident Emmanuel Macron hat angesichts der massiven israelischen Angriffe auf Ziele im Gazastreifen von einem "undifferenzierten Bombardement" gesprochen. Frankreich erkenne den Willen und das Recht Israels vollständig an, gegen die Terroristen der Hamas zu kämpfen, und sei bereit, zu helfen. "Aber wir sind der Ansicht, dass die vollständige Blockade, das undifferenzierte Bombardement und erst recht die Aussicht auf eine massive Bodenoffensive nicht geeignet sind, die Zivilbevölkerung angemessen zu schützen", sagte er nach dem Treffen mit den Staats- und Regierungschefs der EU-Länder am Freitag in Brüssel.

Er bitte darum, dass Israel sich die Zeit nehme, um weitere Schritte gut vorzubereiten, sagte Macron. Er forderte einen humanitären Waffenstillstand und kündigte eine Koalition mit mehreren europäischen Ländern an, um unter anderem einen humanitären Korridor auf See einrichten zu können.

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rad/news.de/dpa