Mikronationen: Ein Königreich im Hinterhof
Von news.de-Redakteurin Anika Kreller
09.10.2012 15.21
Viele Weltenbummler erkennt man an ihren Lonely-Planet-Reiseführern, die ihnen auch in den abgelegensten Winkeln der Erde noch die nächste Szenekneipe zeigen. Eine Ausgabe der blauen Guides dürfte jedoch auch hartgesottene Globetrotter noch überraschen: The Lonely Planet Guide to Home-Made Nations - ein Reisefüher zu den Mikronationen dieser Erde. Mehr als 50 Miniländer listet der etwas andere Wegweiser auf, verteilt auf der ganzen Welt.
Fast alle haben eine eigen Flagge, eine Nationalhymne, viele eine eigene Währung und sogar Briefmarken. Einige haben die Todesstrafe, Universitäten, andere haben bereits diplomatische Delegationen empfangen oder besitzen ein eigenes Raumfahrtprogramm. Doch warum findet man Sealand und Ladonien nicht im Atlas, warum hat die Republik Kugelmugel keinen Sitz bei den Vereinten Nationen? Was die Miniländer eint: Keines von ihnen ist offiziell anerkannt.
Im Prinzip kann jeder seinen eigenen Staat ausrufen, der Lust dazu hat. «Die Unabhängigkeitserklärung als solche ist völkerrechtlich niemandem verboten», erklärt Clemens Richter vom Lehrstuhl für Völkerrecht an der Universität Leipzig im Gespräch mit news.de. Wer seinen eigenen Staat gründen will, muss theoretisch nur drei Bedingungen erfüllen: es braucht eine Bevölkerung - das Staatsvolk, eine geografisch abgrenzbare Fläche - das Staatsgebiet, und eine Regierung - die Staatsgewalt. Doch hier gehen die Probleme schon los.
Plastikkrönchen aufsetzen reicht nicht
Die meisten Möchtegernherrscher haben ihr Reich auf bereits bestehendem Staatsgebiet ausgerufen. Damit haben sie jedoch nicht automatisch die Staatsgewalt darüber. Die bleibt in den meisten Fällen effektiv erst einmal bei dem Staat, von dem sie sich abspalten wollen. Doch so kann das neue Land völkerrechtlich nicht anerkannt werden. «Es wäre eine Verletzung der Souveränität, wenn ein Land so eine Abspaltung als selbstständigen Staat anerkennen würde», erklärt Völkerrechtler Richter.
Die internationale Anerkennung aber ist entscheidend, um tatsächlich im Club der Nationen anzukommen. Ohne die Anerkennung durch Drittstaaten macht die Unabhängigkeitserklärung wenig Sinn. Zwar kann sich jeder, der will, ein Plastikkrönchen aufsetzen, Freunde versammeln und sein Grundstück zum Staatsgebiet erklären. Konsequenzen wird der Schritt nicht haben, solange die bereits anerkannten Nationen den Neuling mit Nichtbeachtung strafen. Mit den selbstgeprägten Münzen wird man außerhalb der eigenen Grenzen nicht zahlen können, die Post die Briefmarken nicht anerkennen.
Einige findige Abenteurer mit Herrscherambitionen versuchen das Problem der mangelnden Staatsgewalt zu umgehen, indem sie ihre Reiche auf Plattformen oder künstlichen Inseln im Meer gründen, außerhalb bestehender Staatsgebiete. Doch auch das funktioniert nicht: Die Drei-Elemente-Lehre des Völkerrechts schreibt vor, dass das Staatsgebiet Teil der Erdoberfläche sein muss.
Man hat es nicht leicht als Staatengründer
Hinzu kommt: Abgesehen von völkerrechtlichen Aspekten ist die Staatengründung auf innerstaatlicher Ebene oft ein verfassungsrechtliches Problem. «Laut deutscher Verfassung ist es schlichtweg verboten, dass man sich einfach so für unabhängig erklärt», sagt Richter. Zur «Sicherung des deutschen Gesamtstaates» könnte jederzeit die Polizei eingesetzt werden, um sezessionistische Ambitionen im Keim zu ersticken. Man hat es schon schwer als Staatengründer.
Eine Option gäbe es noch: Als Nation könnte eine Gruppe von Menschen, die auf einem bestimmten Territorium lebt, auf ihr Selbstbestimmungsrecht pochen. Doch auch das trifft auf die Mikroländer nicht zu - die Bevölkerung ist meist ein bunt zusammengewürfelter Haufen, wenn sie überhaupt die Anzahl der Finger einer Hand übersteigt. Laut Völkerrechtsexperte Richter sind Sealand und Co. darum «Pseudostaaten». Weil sie die Voraussetzungen nach der Drei-Elemente-Lehre nicht erfüllen, sie sind weder richtige Staaten, noch sind sie Nationen. Dafür seien sie zu klein und die Menschen verbinde zu wenig untereinander.
Die Beweggründe sind so vielfältig wie die Flaggen
Wenn die Chancen, ein international anerkannter Staat zu werden, so minimal sind, warum gibt es trotzdem so viele, die ihr Glück in einem eigenen Reich suchen? Die Gründe hinter den Staatenprojekten sind so vielfältig wie die Flaggen der Miniländer. Es gibt Unternehmer, die sich davon nicht mehr erhoffen, als um die Steuerzahlungen herumzukommen, oder alternative Projekte, die sich dem Zugriff des Staates so weit wie möglich entziehen wollen.
Hinter einigen steht eine politische Agenda, die die Pseudoherrscher mit ihrem Reich verfolgen. Andere sehen darin nur einen weiteren Weg, Geld zu machen - wie die Gründer von New Utopia, die angeblich Staatsbürgerschaftszertifikate für mehrere hundert Euro verkauften. Viele entstehen auch als Form des Protest gegen Regierungsmaßnahmen, andere sind nicht mehr als ein Spaßprojekt.
Ebenso unterschiedlich ist die Lebensdauer der Miniländer. Während einige seit Jahrzehnten existieren, wurden andere bereits nach Wochen wieder geräumt - die Hobbyherrscher bleiben abhängig von dem Wohlwollen der anerkannten Staaten. Solange die ihre Abspaltungen nur schmunzelnd zur Kenntnis nehmen, können sich die selbsternannten Prinzen, Fürsten und Premierminister der Illusion hingeben, Herrscher über ihr eigenes Reich zu sein.
Und davon machen Freigeister weltweit Gebrauch: Klicken Sie sich durch unsere Fotostrecke und machen Sie eine Tour zu den verrücktesten Ministaaten der Welt.
cvd/news.de