Politik

Bevölkerungswandel: Die Welt im Jahr 2050

Lagos hat nun 50 Mal so viele Einwohner wie 1950. Bild: dpa

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Die Weltbevölkerung von aktuell 6,7 Milliarden Menschen wächst pro Sekunde um 2,5 Menschen. Damit kommt jedes Jahr die Einwohnerzahl Deutschlands hinzu. In vier Jahren wird die 7-Milliarden-Marke erreicht sein, im Jahr 2025 werden acht Milliarden Menschen auf der Erde leben, lautet eine aktuelle Prognose der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung (DSW).

Das Wachstum findet dabei ausschließlich in den Entwicklungsländern statt. Indien wird im Jahr 2050 das bevölkerungsreichste Land der Erde sein. In Afrika werden fast zwei Milliarden Menschen leben – doppelt so viele wie heute. Möglicherweise steigt die Einwohnerzahl sogar noch schneller, denn insbesondere in den Ländern südlich der Sahara bekommen die Frauen nach wie noch bis zu sieben Kinder. «Es bleibt daher abzuwarten, ob die Zweikindfamilie ein realistisches Zukunftsbild Afrikas ist und ob das prognostizierte Bevölkerungswachstum nicht nach oben korrigiert werden muss», heißt es in der Einschätzung der DSW.

Wie Megastädte entstehen und wie sie auf die Bevölkerungsexplosion reagieren

Die Bevölkerungsexplosion hat dramatische Auswirkungen. In diesem Jahr wohnt beispielsweise erstmals in der Geschichte der Menschheit die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten. Weil es dort oft an Wohnraum fehlt, lebt derzeit eine Milliarde Menschen in Slums. Dort fehlt es an fast allem: Wasser, Strom, Schulen, Ärzte. Umgekehrt haben die Riesenstädte noch keine Lösung für die gewaltigen Verkehrsströme oder ihre Umweltprobleme gefunden: Wenn man etwa einen Tag in Mumbai verbringt, atmet man so viele Schadstoffe ein, als hätte man zweieinhalb Päckchen Zigaretten geraucht.

In China gibt es mittlerweile 166 Millionenstädte. Lagos, die Hauptstadt Nigerias, hat seine Einwohnerzahl in den vergangenen 60 Jahren von rund 300.000 auf geschätzte 16 Millionen gesteigert. Nach Einschätzung von Peter Herrle, Professor für Stadtentwicklung an der TU Berlin, sind solche Städte «Motoren des Wachstums und der Veränderung. Gleichzeitig manifestiert sich hier aber auch die Polarisierung in Gewinner und Verlierer besonders krass und in einer Größenordnung, die unsere Vorstellungskraft übersteigt» sagt der Forscher im Gespräch mit der Zeit. Den Trend der Urbanisierung hält er für unumkehrbar: Die Menschen gehen freiwillig in die Slums, denn dort haben sie wenigstens die Chance auf ein minimales Einkommen.

Die neuen Zahlen sind «ein Erfolg und ein Problem zugleich», sagt Ute Stallmeister von der DSW im Gespräch mit news.de. Denn das Wachstum liege nicht an mehr Geburten, sondern an Fortschritten im Kampf gegen die Kindersterblichkeit. Weil die Menschen auch in den Entwicklungsländern immer älter werden, wächst die Bevölkerungszahl. «Das ist natürlich erfreulich», sagt Stallmeister. «Aber es gibt einfach nicht genug Energie, Rohstoffe, Wasser und Nahrung für all diese Menschen.» Beispiel Äthiopien: Dort haben nur 42 Prozent der rund 79 Millionen Menschen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Bis zum Jahr 2050 kommen noch einmal 70 Millionen Äthiopier hinzu. Sie alle müssen zusätzlich versorgt werden.

Wie aus dem Bevölkerungswachstum ein Kampf um Ressourcen wird

Die Lösung kann nach Einschätzung von Stallmeister nur eine bessere Familienplanung sein. Sie beklagt: «200 Millionen Frauen weltweit wollen verhüten, haben aber nicht die Möglichkeit dazu. Es fehlt an Aufklärung, Wissen und Medikamenten. Ein Problem ist auch, dass Frauen grundsätzlich oft zu wenig Rechte haben, um ihren Wunsch nach Familienplanung umzusetzen.» In Afrika können nur zwei von zehn verheirateten Frauen verhüten. Weltweit gibt es jedes Jahr 76 Millionen ungewollte Schwangerschaften – das entspricht ungefähr dem jährlichen Zuwachs der Weltbevölkerung.

Das Bevölkerungswachstum bringt auch politische Probleme mit sich. «Wir sehen immer wieder, dass Länder wie Uganda oder Afghanistan, in denen sehr viele junge Menschen leben, ein höheres Konfliktpotenzial haben. Dort wird um Ressourcen gekämpft. Auch dort kann Familienplanung helfen: Wenn es weniger Geburten gibt, werden die Verteilungskämpfe nicht mehr so heftig. Das kann Bürgerkriege und ähnliche Auseinandersetzungen verhindern, und dadurch gäbe es wiederum weniger Flüchtlinge, die andere Länder belasten», sagt Stallmeister.

Sie sieht vor allem die Geberländer gefordert. Die Industrienationen haben angekündigt, 0,7 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für Entwicklungshilfe einzusetzen. «Dieses Versprechen haben sie noch immer nicht eingelöst. Auch Deutschland hat da noch Nachholbedarf. Außerdem muss der Nord-Süd-Dialog verstärkt werden. Da sollten die Industrienationen darauf drängen, dass Frauenrechte auf der ganzen Welt gestärkt werden und mehr Augenmerk auf die Gesundheitspolitik gelegt wird», fordert Stallmeister.

Wie der demografische Wandel auch die Industrieländer vor Herausforderungen stellt

Auch die Industrieländer selber sind vom demografischen Wandel betroffen: die Bevölkerung schrumpft. In Europa werden im Jahr 2050 nur noch 685 Millionen Menschen leben – 51 Millionen weniger als heute, so die DSW-Prognose. Ostdeutschland ist besonders stark betroffen. Seit der Wiedervereinigung haben die neuen Bundesländer bereits 1,5 Millionen Einwohner verloren, bis 2020 werden es wohl noch einmal so viele werden. Einige Regionen werden bis dahin ein Viertel ihrer jetzigen Bewohner verlieren.

«Ostdeutschland bietet das größte Potenzial für die Renaturierung», heißt es dazu in einer Studie des Berlin Instituts für Bevölkerung und Entwicklung. Für manche Menschen im Osten wird das beinahe zynisch klingen, ist neben dem Geburtenrückgang doch vor allem die Abwanderung junger Menschen wegen fehlender wirtschaftlicher Perspektiven der Grund für die Entvölkerung. Strukturschwache Regionen in Nordportugal, Süditalien und Finnland haben ähnliche Sorgen.

Doch nicht nur der Bevölkerungsrückgang bereitet Probleme. Auch in Europa setzt sich der Trend zur Verstädterung fort. Zudem altern die Menschen. Das hat auch politische Folgen: Weil Politik für die gegenwärtigen Wähler gemacht wird, nicht für die künftigen, werden die Interessen der Senioren tendenziell immer stärkeres Gewicht bekommen – auf Kosten der Jüngeren, schätzen Experten.

Auch auf europäischer Ebene macht sich die Demografie bemerkbar: Länder, die wachsen, bekommen immer mehr Mitspracherechte. Länder, die schrumpfen, verlieren Einfluss. Die Machtbalance in Europa könnte sich bis 2050 deshalb stark verändern: Süd- und Nordeuropa dürften stärker werden, Mittel- und Osteuropa schwächer.

Nicht zuletzt dürften ältere Menschen ein noch größerer Wirtschaftsfaktor werden: «Gesundheit zur immer stärker nachgefragten Schlüsselressource», sagt der Zukunftsforscher Christian Rauch in seinem Buch Die silberne Revolution voraus. Er sieht Gesundheit als den «nächsten großen Wachstumsmotor». Ob diese Vorhersage für die Wirtschaft zutrifft, muss sich noch zeigen. Für die Bevölkerungszahl gilt sie bereits.

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