Anti-Rassismus-Kampagne auf dem Prüfstand: Sind alle Deutschen rassistische "Kartoffeln"?
Von news.de-Redakteurin Anika Bube
04.06.2021 13.38
Die Bundeszentrale für politische Bildung (BPB) widmet sich auf der Instagram-Seite "Say My Name" verschiedenen Themen rund um Diskriminierungserfahrungen, Zugehörigkeit, Ausgrenzung, Glaubensfragen, Privilegien und Solidarität. In dieser Woche ging es um Allyship. Aber mit einem Beitrag sorget die BPB für Aufruhr. Doch von vorn!
Rassismus in Deutschland: Sind alle Deutschen rassistische "Kartoffeln"?
"BiPoC und Menschen der LGBTQIA+ Community sind häufig von Diskriminierung betroffen. Nicht betroffene Personen können ihnen eine Stütze sein, indem sie sich solidarisch verhalten", heißt es in einem Post der Bundeszentrale für politische Bildung. "Eine Person, die solidarisch denkt und handelt, ist ein:e Ally. Auf Deutsch nennt man diese Person auch Verbündete:r." Der Autor Mohamed Amjahid benutzt dafür die Bezeichnung "Süßkartoffel". Eine "Süßkartoffel" könne man nur werden, wenn man sich mit den "eigenen Privilegien" auseinandersetze und sich "Kritik von Betroffenen" zu Herzen nehme. "Verlinke jemanden, der für dich eine gute Süßkartoffel ist", ruft die BPB die Community auf. Doch es kommt völlig anders.
Der Begriff "Kartoffel" werde im interkulturellen Zusammenhang für Deutsche als Abgrenzung zu "Ausländern" verwendet. Sie könne beleidigend, humorvoll aber auch als Selbstbezeichnung mit positiver und ironischer Bedeutung verwendet werden.
Shitstorm gegen Bundeszentrale für politische Bildung: Wütende "Kartoffeln" beweisen White Fragility im Netz
Auf Twitter teilt "Bild"-Redakteurin JudithSevinç Basad Screenshots der BPB-Kampagne und schreibt: "Weiße und 'Almans' sind qua Hautfarbe 'Kartoffeln' - also per se Menschenfeinde - die bestenfalls durch 'harte Arbeit' ihren Status zur 'Süßkartoffel' verbessern können." Einen Tag später titelt die "Bild"-Zeitung "Bundeszentrale verhöhnt Deutsche als 'Kartoffeln'" und beschwört damit einen Shitstorm gegen die BPB-Kampagne herauf. Das Blatt unterstellt den Postings, weiße Deutsche pauschal als Rassisten zu verunglimpfen. Weiße Deutsche, die sich nicht mit ihren Privilegien auseinandersetzen, seien keine Verbündeten im Kampf gegen Rassismus sondern "Kartoffeln".
Was dann passiert, ist ein Paradebeispiel für White Fragility. Sobald Weiße mit ihrem eigenen strukturell verankerten Rassismus konfrontiert werden, reagieren sie wütend, ablehnend und stilisieren sich selbst zum Opfer. In der Kommentarspalte werfen zahlreiche Nutzer:innen der BPB vor, selbst rassistisch zu sein. "Was dieses diskriminierende (und rassistische) Statement mit politischer Bildung zu tun haben soll, darf mir auch gerne mal jemand erklären", fragt sich ein Instagram-Nutzer in der Kommentarspalte. "Morgen wieder Rassismus mit rassistischem Beitrag bekämpfen, gar kein Bock", heißt es in einem anderen Kommentar. "Ideologischer Schwachsinn mit dem Ziel, die Gesellschaft noch weiter zu spalten. Man könnte es auch Hetze nennen", heißt es in einem Tweet.
"Allerdings kann man maximal eine Süßkartoffel werden. Das ist zwar nett, aber natürlich wenn es hart auf hart kommt immer noch Untermenschen-Status. Und dieses grindige Weltbild feiert man dann in gewissen Kreisen fest ab. In der Hinsicht wird die Welt echt immer dümmer...", ergänzt ein anderer Twitter-Nutzer. "Ich war so naiv zu denken, Aufgabe der BpB sei politische Bildung und nicht die Verbreitung von Rassismus", heißt es in einem weiteren Tweet. "Jemand, der andere Menschen oder pauschal Menschengruppen mit Tieren oder mit Gemüse gleichsetzt, handelt zutiefst menschenverachtend und begibt sich damit auf das Niveau von Rechtspopulisten, die versuchen, die Grenzen des Sagbaren immer weiter auszudehnen", wettert ein Twitter-Nutzer.
Darum ist Aufklärung über Rassismus so wichtig
Die Debatte zeigt, wie wichtig die Aufklärung über Rassismus in unserer Gesellschaft ist. So unterstellt die "Bild"-Zeitung der BPB fragwürdige Bildungsarbeit. "So behauptete 'saymyname' in einem früheren Info-Post auf Instagram, dass es falsch sei, wenn Weiße andere Menschen nicht nach ihrer Hautfarbe beurteilten", schreibt das Blatt. Und weiter: "Mit der Aussage 'Für mich gibt es keine Unterschiede. Wir sind doch alle Menschen' würden Weiße 'den strukturellen Rassismus' in der Gesellschaft ignorieren und 'Betroffene verletzen', liest man dort." Was daran fragwürdig sein soll, wissen wir auch nicht. Color Blindness verharmlost Rassismus-Erfahrungen. Deshalb ist es wichtig, dass man bestehende Unterschiede zunächst sichtbar macht, um sie zu überwinden. "Weißsein" werde oft mit "Deutschsein" gleichgesetzt. Das führt dazu, dass BIPoC trotz Farbenblindheit oft nicht als Deutsche angesehen werden. Diese Erklärung lässt die "Bild" jedoch in ihrer Darstellung aus. Richtige Aufklärung würde auch gar nicht ins Bild passen. Immerhin scheint das Blatt einen neuen Feind gefunden zu haben: Anti-Rassisten.
"Süßkartoffel"-Post: Innenministerium stellt "Say My Name"-Projekt auf Prüfstand
Doch es kommt noch dicker. Nuh hat auch das Innenministerium den Instagram-Post der Bundeszentrale für politische Bildung scharf kritisiert. Das Projekt "Say My Name" soll nun auf den Prüfstand gestellt werden. "Der entsprechende Post wird mit einem Kommentar versehen und klargestellt", sagte ein Sprecher des Innenministeriums. "Die wichtige Auseinandersetzung mit Rassismus darf nicht so geführt werden, dass andere Gruppen ausgegrenzt oder diskriminiert und herabgewürdigt werden. Für die Zukunft muss sichergestellt werden, dass Meinungsäußerungen zu aktuellen Fragen unseres gesellschaftlichen Miteinanders respektvoll und ohne abwertende Unter- oder Zwischentöne vorgetragen werden."
Und weiter: "Abwertende Äußerungen gegenüber Personen oder Personengruppen auf der Grundlage ihres Aussehens, ihrer Herkunft, ihrer Sprache, ihrer Religion oder Staatsangehörigkeit sind nicht hinnehmbar", sagte ein Sprecher. Das sei auch für die politische Bildungsarbeit maßgeblich. Es komme dabei nicht nur auf die Absicht des Senders einer Botschaft an sondern auch darauf, wie sie ankomme, heißt es weiter. Fragt sich nur, warum weiße Deutsche sich dann so darüber echauffieren, wenn man ihnen sagt, dass die Verwendung des N-, Z- und I-Wortes aus rassistischen Gründen nicht okay sei. Sie meinen es doch schließlich gar nicht böse. Warum das Bundesinnenministerium nicht auch bei Rassismusvorwürfen gegen andere Institutionen so schnell reagiert, bleibt fraglich.
Buchempfehlungen zum Thema Rassismus
Mohamed Amjahid veröffentlichte im vergangenen Jahr das Buch "Der weiße Fleck". Darin behandelt der Autor strukturellen Rassismus, weiße Privilegien und Andersmachung von verletzbaren Minderheiten. "Rassistisches Denken ist nach wie vor tief in uns allen verankert – und doch unsichtbar für die weiße Mehrheitsgesellschaft", heißt es in der Buchbeschreibung. Amjahid will diesen blinden Fleck auflösen und gibt Tipps für antirassistisches Denken und Handeln. Weitere Bücher zum Thema sind "Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen aber wissen sollten" von Alice Hasters und "Exit Racism: Rassismuskritisch Denken lernen" von Tupoka Ogette.
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bua/fka/news.de/dpa