Coronavirus-News: Knallharter Faktencheck! Missbraucht die Regierung die Mutationen zur Panikmache?
Von news.de-Redakteurin Sandra Ignatzy
09.02.2021 10.28
Die "Bild"-Zeitung ist nicht nur einer der größten Gegner von Bundeskanzlerin Angela Merkel, sondern auch einer der ärgsten Kritiker der Maßnahmen gegen die Eindämmung der Corona-Pandemie. Auch heute warf das Blatt der Bundesregierung wieder Panikmache vor. Demnach würde das Bundeskanzleramt die Virus-Mutation B.1.1.7 für ihre Panikmache missbrauchen. Was ist dran an den Vorwürfen?
Höhere Ansteckungsrate von britischer Corona-Variante B.1.1.7
Der "Bild"-Epidemiologe Klaus Stöhr glaubt, dass es trotz der höheren Infektiosität der britischen Mutante B.1.1.7 von 40 Prozent in Deutschland zu keinem signifikanten Anstieg der Zahlen kommen wird. Er verweist dabei auf Irland und England, wo die Fallzahlen derzeit sinken. "In Irland sind die Fallzahlen um 80 Prozent gesunken, in England um 60 Prozent – und das, während sich die Variante weiter ausgebreitet hat", so Epidemiologe Klaus Stöhr (62) zu "Bild".
Zahlen in England und Irland sinken aufgrund von Lockdown
Stöhr hat insofern recht, dass in Irland und England die Zahlen jetzt wieder sinken. Denn nachdem im November durch B.1.1.7 die Infektionszahlen in den britischen Ländern explodiert waren, mussten wieder scharfe Maßnahmen verhängt werden. Diese zeigten Wirkung, deshalb sind die Zahlen nun - etwa zwei Monate nach einem explosionsartigen Ausbruch - endlich gesunken.
Auch auf Twitter ist das "Argument" der derzeit fallenden Fallzahlen in England und Irland trotz B.1.1.7 längst durchschaut worden. Zahlreiche Nutzer machen sich über die falsche Einordnung der sinkenden Zahlen in England und Irland lustig.
Virologin Melanie Brinkmann weist auf schnelleres Wachstum durch Mutante hin
Auch Virologin Melanie Brinkmann vom Helmholtz Zentrum für Infektionsforschung und der TU Braunschweig erklärte im "Spiegel"- Interview, dass die britische Mutante dem Coronavirus "einen Raketenantrieb" verliehen habe. Wenn wir jetzt leichtsinnig öffnen, drohe Deutschland ein exponentielles Wachstum wie in England und Irland im November.
Die Maßnahmen wirken auch bei den Virus-Mutanten. Da B.1.1.7 circa 40 Prozent ansteckender ist, erfordert es jedoch größere Anstrengungen, um es in Schach halten zu können, als bei dem sogenannten Wildtyp von Sars-CoV-2.
Höhere Übertragbarkeit der Virus-Mutante nicht zu unterschätzen
Tatsächlich ist die höhere Übertragbarkeit der britischen Mutante nicht zu unterschätzen, wie bislang in jedem Land zu sehen war, das von ihr betroffen war. In Portugal hatte die B.1.1.7-Variante sogar dermaßen katastrophische Auswirkungen, dass das Land um Hilfe aus dem Ausland bitten musste.
Die Hoffnung, es werde in Deutschland schon nicht so schlimm kommen wie in allen anderen Ländern vor uns, trübte uns bereits vor der zweiten Welle die Sicht - mit schlimmen Folgen.
Coronavirus-Variante B.1.1.7 für Kinder ansteckender? Nein - und das wurde nie behauptet
Die "Bild"-Zeitung wirft dem Bundeskanzleramt außerdem vor, sie hätte die Behauptung aufgestellt, die Virusmutante B.1.1.7 verbreite sich leichter bei Kindern. Aufgrund der massiven Infektionsausbrüche in Schulen und Kindertagesstätten in Großbritannien durch B.1.1.7 hätte man in der Tat vermuten können, das Virus verbreite sich schneller unter jungen Menschen. Doch Virologen wie Christian Drosten und Epidemiologen wie Karl Lauterbach vermuteten von Anfang an, dass das Phänomen lediglich auf die zu dem Zeitpunkt in Großbritannien geöffneten Schulen zurückzuführen war.
B.1.17 ist um die 40 Prozent ansteckender - sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen. Da die Schulen geöffnet waren, verbreitete sich die Virusvariante dort besonders stark. Wären statt der Schulen Konzerthallen und dergleichen geöffnet gewesen, hätte sich B.1.1.7 dort vermutlich ebenso stark verbreitet.
Christian Drosten: B.1.1.7 für Kinder und Erwachsene ansteckend
Christian Drosten erklärte in seinem NDR-Podcast klar, dass B.1.1.7 "kein speziell Kinder befallendes Virus" sei, sondern sich bei Kindern und Erwachsenen gleichermaßen verbreitet, nur eben stärker als das ursprüngliche Coronavirus.
Zu keinem Zeitpunkt behauptete das Bundeskanzleramt, B.1.1.7 sei für Kinder ansteckender oder gefährlicher. Die Schulen zu öffnen, ohne vorher die wissenschaftlichen Hintergründe zu kennen - wie die "Bild"-Zeitung es seit Monaten fordert - wäre aber in der Tat gefährlich gewesen.
Bundeskanzleramt hat nichts von Lockdown
Stellt sich noch die Frage, was die "Bild"-Zeitung genau meint, wenn sie behauptet, die Regierung missbrauche die Mutationen für ihre Zwecke oder für Panikmache. Was hätte Bundeskanzlerin Angela Merkel, die im Herbst als Kanzlerin aus dem Amt scheidet, davon, den Bundesbürgern unnötige Beschränkungen aufzuerlegen? Was hätten Finanzminister und Vizekanzler Olaf Scholz oder Wirtschaftsminister Peter Altmaier davon, die Wirtschaft durch Schließung der Gastronomie und des Einzelhandels zu belasten? Aus welchem Grund sollten Schulen geschlossen bleiben, wenn es nicht absolut nötig wäre? Die Antwort auf die Fragen liegen auf der Hand: Die Maßnahmen sind notwendig, um die Ausbreitung des Virus aufzuhalten und geschehen nicht, weil Politiker Freude daran haben.
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sig/loc/news.de