Tod in der Polizeikaserne: Staatsanwaltschaft will Bewährungsstrafe für Polizeischüler nicht hinnehmen
Erstellt von Claudia Löwe
16.07.2020 13.17
Der tödliche Schuss fiel gegen 21.30 Uhr in einer Würzburger Kaserne. Im Raum befanden sich zwei Polizeischüler: ein 21-Jähriger lag lebensgefährlich verletzt auf dem Boden, sein zwei Jahre jüngerer Kollege stand unter Schock daneben. Der Schütze musste sich nun wegen fahrlässiger Tötung vor dem Amtsgericht Würzburg verantworten.
Polizeischüler erschießt Kollegen - wieso war die Dienstwaffe nicht entladen?
Die Kugel ist den Ermittlungen zufolge unbeabsichtigt losgegangen, weil die Dienstwaffe nicht richtig entladen gewesen sein soll. Doch wie war es möglich, dass sich eine Patrone im Lauf befand? Es ist eine von vielen Fragen, die am ersten und einzig vorgesehenen Verhandlungstag beantwortet werden sollte.
Tödliche Schüsse unter Polizisten: So wird die Tragödie rekonstruiert
Was am Abend des 28. Februar 2019 in der Kaserne der Bereitschaftspolizei Würzburg geschah, scheint laut Anklageschrift weitgehend geklärt. Die beiden Polizeischüler sollten um 22 Uhr zusammen mit einer Kollegin den Dienst zur routinemäßigen Bewachung des Geländes der Bereitschaftspolizei antreten. Bereits am frühen Morgen hatten die drei eine gemeinsame Schicht. Die Waffen wurden nach dem Dienstende entladen, die Magazine an die nachfolgend diensthabenden Beamten, Mann-zu-Mann, übergeben - eine Routine.
Allerdings waren für jene Folgeschicht nur zwei anstatt drei Personen im Einsatz. Der Angeklagte gab seine Magazine daher in der Wachstation zurück, wo sie in einem Tresor eingeschlossen wurden. Die Waffe legte er ordnungsgemäß in denTresor in seinem Zimmer.Dass sich noch eine geladene Patrone im Lauf der Dienstwaffe befand, will der damals 19-Jährige bei der Kontrolle der Waffe nicht bemerkt haben. Nachlässigkeit wirft ihm die Staatsanwaltschaft daher vor.
Todes-Drama in Polizeikaserne: Polizeianwärter (19) gibt tödlichen Schuss auf Kollegen ab
Kurz vor Dienstantritt holte der Angeklagte seinen Kollegen in dessen Stube ab. Die jungen Männer hatten den Einsatzgürtel umgelegt und die Dienstwaffe aus ihren Tresoren entnommen. Dann sollen die beiden Deutschen einen Schusswaffeneinsatz simuliert haben. Der Geschädigte habe seine Waffe gezogen, sie in Richtung Fenster gehalten und gerufen, dass er schieße, heißt es in der Anklageschrift.
Mann (21) nach Schuss in den Hinterkopf gestorben - Schütze unter Schock
Der damals 19-Jährige stand demzufolge einen bis eineinhalb Meter hinter ihm, zog ebenfalls seine Waffe, zielte in Richtung Fenster, nicht auf den später Getöteten. Allerdings, davon geht die Anklage aus, habe der Geschädigte im Streuungsbereich des angedachten Schusses gestanden. Der 19-Jährige drückte den Abzug der Waffe - die Kugel traf den 21-Jährigen in den Hinterkopf. Schwer verletzt starb er wenige Stunden später in einer Klinik.
Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass der Angeklagte fahrlässig handelte - ohne den Ladezustand seiner Dienstwaffe zu kennen und ohne den Geschädigten auch nur verletzen zu wollen.
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Eltern von erschossenem Polizeischüler als Nebenkläger vor Gericht
Rechtsanwalt Jürgen Scholl vertritt die Familie des Getöteten in der Nebenklage und sieht im Verhalten des Angeklagten ein "extrem hohes Maß an Pflichtverletzung". Die Tat im Sinne des Jugend-anstatt des Erwachsenenstrafrechts zu ahnden, findet er zweifelhaft: Ein Polizeibeamter in Bayern mit Waffe im Dienst dürfe keine Reifeverzögerung haben, zumal die jungen Beamten im Umgang mit der Waffe "intensivst" geschult würden.
Für die Eltern sei es laut Scholl eine große Belastung, nicht zu wissen, ob der Tod ihres Sohnes hätte verhindert werden können. Zumal eine Polizeischule als Ort hoher Sicherheit gelte. "Wie kann es sein, dass ein Polizeischüler die Waffe überhaupt mit auf das Zimmer nehmen darf?", fragt Scholl im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur.
Zudem sei es grenzwertig, dass anderen Auszubildenden und nicht den Ausbildern die Kontrolle der Waffen in die Hand gegeben werde. Als Vertreter der Familie fordere er eine schonungslose Aufklärung aller Ursachen, die mitverantwortlich für den tragischen Tod sind.
21-Jähriger gesteht tödlichen Schuss auf Polizeischüler
Nach dem tödlichen Schuss eines Polizeischülers auf einen Kollegen hat der Schütze die Anklage in vollem Umfang eingeräumt. Niemals hätte er es für möglich gehalten, dass sich im Lauf der Dienstwaffe noch eine Kugel befinde, erklärte der Angeklagte am Dienstag vor dem Amtsgericht Würzburg in einer schriftlichen Stellungnahme, die sein Verteidiger vorlas. Er gestand, beim Entladen und bei der Kontrolle der Waffe nachlässig gehandelt zu haben.
Seit dem Vorfall ist er vom Dienst beurlaubt. In der Stellungnahme gab er an, dass er gerne Polizeibeamter geworden wäre und wüsste, dass dies nicht mehr möglich werden könne.
Bewährungsstrafe nach tödlichem Schuss auf Polizeischüler
Nach dem tödlichen Schuss eines Polizeischülers auf einen Mitschüler ist der 21-jährige Angeklagte zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und drei Monaten auf Bewährung verurteilt worden. Alle Zeugen hätten das ausgesagt, was die Ermittlungen ergeben und der Angeklagte gestanden hatte, sagte der Vorsitzende Richter am Dienstag vor dem Amtsgericht Würzburg.
Die Staatsanwaltschaft hatte im Plädoyer eine Bestrafung nach dem Erwachsenenstrafrecht gefordert. Laut Richter wurde unter anderem eine Jugendstrafe verhängt, weil sich der Angeklagte zum Tatzeitpunkt noch in der Ausbildung befand. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.
Anklage geht nach Urteil gegen Polizeischüler in Revision
Die Staatsanwaltschaft Würzburg will sich nicht mit dem Urteil gegen einen Polizeischüler wegen fahrlässiger Tötung abfinden und wird in Revision gehen. "Ich werde jetzt Rechtsmittel einlegen", sagte Oberstaatsanwalt Thorsten Seebach am Donnerstag. Aus seiner Sicht hätte der Angeklagte nach Erwachsenenstrafrecht verurteilt werden müssen. Das Amtsgericht Würzburg hatte sich am Dienstag allerdings zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und drei Monaten auf Bewährung entschlossen.
Die Anklage hatte für 22 Monate auf Bewährung nach Erwachsenenstrafrecht plädiert, da ihrer Ansicht nach keine Reifedefizite beim Angeklagten vorliegen und der Vorfall keine Jugendverfehlung war. Das Gericht hatte das Jugendstrafmaß unter anderem damit begründet, dass sich der Angeklagte zur Tatzeit in Ausbildung befand und mit seinem Kollegen wohl öfter solche Spielchen gemacht habe, in denen er leichtfertig mit der Waffe umgegangen sei. Es sei auch zu berücksichtigen, dass der 21-Jährige seit der Tat traumatisiert sei.
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loc/news.de/dpa