Cote Azur: Saint Tropez: "Es gibt immer einen, der noch reicher ist"
18.05.2015 15.58
Keanu Reeves planscht im Meer, Naomi Campbell zickt im Beachclub, Pierce Brosnan diniert im In-Restaurant, Uma Thurman shoppt in Edel-Boutiquen, Puff Daddy lässt es in der Disco krachen - und Roman Abramowitsch kommt nicht in den Hafen, weil seine Jacht zu groß ist. Schlagzeilen des Sommers, die ein Fischerdorf täglich so zuverlässig liefert wie den Sonnenaufgang. Allerdings bekommen den die Wenigsten mit, weil sie sich von den Strapazen nächtlicher Partyexzesse erholen müssen. Dabei ist Saint Tropez am schönsten, wenn die ersten Strahlen unten am Hafen die bunten Häuschen in ein unwirklich warmes Licht tauchen, wenn die Promenade dort wie leer gefegt ist und wenn die Luxusschiffe der Millionäre sanft im Rhythmus der Wellen schaukeln. Das sind die Momente, in denen Saint Tropez für kurze Zeit zu sich selbst findet und jene Reize zeigt, die es zum berühmtesten Dorf der Welt werden ließ.
Mythos Saint Tropez. Roger Vadim, der französische Regisseur (gest. 2000), schuf ihn, als er 1955 dort "Und ewig lockt das Weib"
Luxuswagen in Saint Tropez: Sehen Sie hier einen Beitrag auf MyVideo
Die Filiale von McDonalds hat den zweitgrößten Umsatz Frankreichs
Storys wie diese entlocken Nostalgikern noch heute ein sehnsuchtsvolles Seufzen, aber die Realität sieht anders aus: Die nicht einmal 6.000 (ordentlich gemeldeten) Einwohner von Saint Tropez werden alljährlich von fast vier Millionen (überwiegend unangemeldeten) Touristen überfallen. Die meisten von ihnen kommen, wenn auch die Promidichte am höchsten ist - im Juli und im August. Heerscharen auf der Durchreise, angelockt vom Mythos Saint Tropez und dem internationalen Jetset. Das führt auf den Zufahrtsstraßen zu den längsten in Frankreich bekannten Staus, aber auch dazu, dass die Filialen von McDonalds und der Supermarktkette Geant zu den umsatzstärksten des Landes zählen. "Ein Phänomen", staunt Robert von Straaten, Direktor des 5-Sterne-Hotels "Villa Belrose". "Die Menschen kommen, obwohl die Chance, einen Star zu sehen, gleich Null ist. Das gibt es sonst nur in Hollywood". Film- und Popstars wohnen in der Regel nicht bei ihm, sondern im "Byblos" in Saint Tropez. Bei van Straaten im Nachbarort Gassin steigen die ab, die keinen Wert auf Publicity legen. Prinzessin Anne, zum Beispiel. Die Mitglieder der Familie Quandt, Großaktionäre bei BMW. Oder Ex-Telecom-Chef Ron Sommer. Sie genießen von der Terrasse der "Villa Belrose" den schönsten Blick über die Bucht von Saint Tropez. Außerdem gehört das Sterne-Restaurant des Hotels unter den Küchenchefs Pietro Volonte und Simone Zanoni zum Besten, was die Region zu bieten hat.
Champagnerrechnung in der Disco: 250.000 Euro
Aber zurück nach Saint Tropez und dorthin, wo das Leben tobt - der Hafenmeile. Mittelpunkt dort ist seit ewigen Zeiten das "Café Sénéquir", wo man direkt vor den ankernden Jachten in der ersten Reihe sitzt. Gleich daneben die In-Bar "Le Quai", der perfekte Ort, sich bei chilligem Sound und schwarzem Sand unter den Füßen bei einem Drink auf den Abend einzustimmen. Gegenüber, auf der anderen Hafenseite "L'Opera", das neue In-Lokal. Dort wird das Essen zur Nebensache, weil es beim wechselnden Showprogramm normal ist, dass die Tische zum Laufsteg werden und die Models zwischen gefüllten Tellern und Gläsern balancieren. Danach oder davor treffen sich die Schönen und die Reichen an der Champagnerbar "White 1921" im Garten des gleichnamigen Hotels am Place des Lices. Die Bar wurde nach dem Jahrgang zweier Flaschen Moet Chandon benannt, von denen es nur noch zwei in ganz Europa gibt. Ihren Preis bestimmt der Barbesitzer, und natürlich ist die Höhe astronomisch. Wie hoch, kann man im Restaurant "1947" des Hotels testen, wo für die Rotweinflasche Cheval Blanc selben Jahrgangs 50.000 Euro aufgerufen werden. "Davon wurde zwar noch keine verkauft", plaudert Insider van Straaten aus dem St. Tropez-Kästchen, "aber die günstigeren für 20.000 bis 30.000 Euro gehen ganz gut". Wer dann noch Kleingeld übrig hat, wird das garantiert im "VIP Room" oder im "Les Caves du Roy" los, den beiden Kult-Discos. Den Investment-Rekord für Champagner im Les Caves, das zum Hotel Byblos gehört, hält seit ein paar Jahren übrigens ein Pakistani. Seine Zeche betrug - Trinkgeld immerhin inklusive - 250.000 Euro. Da hält sich das Mitgefühl für die Geschäftsleute des Dorfes in Grenzen, aber man muss verstehen: sie haben nur knapp fünf Monate Zeit, um den Rest des Jahres über die Runden zu kommen. "Das Schöne an Saint Tropez ist," sagt Robert van Straaten, "dass es immer einen gibt, der noch reicher ist".
Ach, ja: Beachlife gibt es auch. Der Strand von Pampelonne, mit fünf Kilometern der Längste an der ganzen Côte d'Azur (gehört übrigens nicht zu Saint Tropez, sondern zur Nachbargemeinde Ramatuelle), füllt sich erst gegen Mittag allmählich. Dann ist das Partyvolk wieder so weit hergestellt, um in den zahlreichen Beachclubs weiterzufeiern. Lange war der "Nikki Beach" mit seinen weißen Betten, Liegen und den Baldachinzelten (mit Vorhängen zum Zuziehen) die Nummer eins. "Palmier" und "Bagatelle" haben allerdings im Rennen um die Gunst der Promis gleichgezogen. Das legendäre "La Voile Rouge" am Abschnitt "Moorea Beach", wo einst ein betrunkener Kellner das Öffnen der Pullen mit dem Säbel samt Champagnerspritzen erfunden haben soll, gibt es nicht mehr. Es hatte nie eine Baugenehmigung und irgendwann ließ sich die illegale Existenz auch bei den besten Beziehungen nicht mehr verheimlichen. Wohltuend gesittet dagegen geht es im "Club 55", "Tahiti" und "Orangerie" zu, den drei besten Beachrestaurants.
Nach dem Strand und vor der Nacht ist die beste Zeit, durch die engen Gassen von Saint Tropez zu bummeln, in denen sich eine Boutique an die andere reiht. Ob man im schicken Shop von "Hermès" am Hafen oder den sündhaft teuren Edelboutiquen in der Rue Allard die Kreditkarte zückt, muss jeder mit Blick auf sein Budget selbst entscheiden. Ein kostenloses Erlebnis ist es, sich auf dem Place des Lices auf eine Parkbank zu setzen und den Männern beim Pêtanque, einer Art Boule, zuzusehen. Samstags und dienstags ist dort Markttag, den man sich nicht entgehen lassen sollte. Weil er als einer der schönsten provenzalischen Märkte weit und breit gilt. Gemüse, Kräuter, Olivenöle, Stoffe, Bücher, Malereien, Klamotten, Ramsch - es gibt alles.
Ein Espresso noch im "Café Clémenceau" direkt am Platz zum Abschied - und irgendwann geht es wieder raus aus dem Dorf und rein in den Stau. Ein Problem, das die reichen und berühmten Urlauber von Saint Tropez nicht kennen: Im Sommer letzten Jahres wurden innerhalb eines Monats über 1.000 Helikopterflüge registriert. Willkommen in der realen Welt!