Todesstrafe und Folter: Deutsche in ausländischen Knästen
Von news.de-Redakteurin Isabelle Wiedemeier
11.07.2012 09.29
Jens Söring sagt, er sei «nicht schuldig». So heißt auch sein neuestes Buch, eins von neun, die er herausbrachte, seit er vor 26 Jahren hinter Gittern landete. Er sei der Sündenbock, schreibt er, seine damalige Freundin Elizabeth habe den Mord an ihren Eltern, für den er verurteilt wurde, mit einem anderen Komplizen verübt. Als Jens Söring 1986 in Haft kam, war er gerade Student geworden an der University of Virginia und seine Musik hörte er auf Platten. CD-Player und MP3 sind Erfindungen, von denen er hinter Gittern erfahren hat.
Der Diplomatensohn, der 1990 an die USA ausgeliefert wurde, hatte den Mord an Derek und Nany Haysom zunächst gestanden, sein Geständnis jedoch zurückgezogen. Angeblich wollte er seine Freundin schützen. 1996 tauchen neue Beweise und Zweifel an seiner Schuld auf, aber erst im Jahr 2009 kommt Bewegung in den Fall. DNA-Analysen ergeben, dass relevante Spuren nicht von Jens Söring stammen. Im Januar 2010 beantragt Deutschland die Haftüberstellung.
Entscheiden muss das der Gouverneur von Virginia, und der stimmt zunächst zu. Sein Nachfolger aber nimmt die Zustimmung wieder zurück. In diesen Tagen muss nun ein Gericht entscheiden, ob die Rücknahme rechtens war.
Deutsche Behörden dürfen sich nicht einmischen
Ein Deutscher sitzt in den USA in Haft, womöglich unschuldig, und die deutschen Behörden können nichts für ihn tun. Wer im Ausland ein Verbrechen begangen hat, wird nach dortigen Gesetzen bestraft. Ob die Beweise zweifelhaft sind oder ein deutscher Richter ein anderes Strafmaß verhängt hätte, tut nichts zur Sache. In die inneren Angelegenheiten eines Landes dürfen sich die Botschaften nicht einmischen, Verhandlungen wie die um Haftüberstellung müssen sehr sensibel geführt werden.
Alles, was der Staat für seine Bürger tun kann, die ausländische Gesetze gebrochen haben, ist, sich ein wenig zu kümmern - doch zunächst muss er überhaupt von ihnen wissen. Nach dem Wiener Abkommen über konsularische Beziehungen von 1963 haben Festgenommene das Recht, ein Konsulat einzuschalten. Mit 37 Staaten hat Deutschland bilaterale Abkommen, die eine unverzügliche Benachrichtigung vorschreiben. In Syrien, im Irak und gelegentlich auch in den USA funktioniert das laut Auswärtigem Amt allerdings nur lückenhaft.
Im Jahr 2008 wusste das Auswärtige Amt von insgesamt 2732 deutschen Staatsbürgern in den Knästen der Welt, die meisten wegen Drogendelikten. Am Stichtag 1. November 2008 waren es 1160 Häftlinge. Jedes Jahr ist das Auswärtige Amt mit 2500 bis 3500 fällen befasst, doch niemand weiß, wie hoch die Dunkelziffer ist.
Was Konsulate für deutsche Häftlinge tun können
Die Konsulate vermitteln einen Anwalt oder die Kautionszahlung durch Angehörige, manchmal helfen sie, Sozialhilfe zu beantragen. Geld allerdings gibt es nicht, nur im Ausnahmefall als kleinen Kredit. Weil in vielen Ländern die Untersuchungshaft Jahre dauern kann, versuchen engagierte deutsche Diplomaten, auf zügigere Prozesse hinzuwirken. Jedoch mit mäßigem Erfolg. So waren 2006 in zwölf Staaten insgesamt 22 Deutsche mehr als 18 Monate ohne Urteil in Untersuchungshaft - unter anderem Ecuador, Indien, Haiti, Kenia, Spanien und Tschechien.
Eigentlich sollten die Konsulate die Häftlinge auch betreuen, sie besuchen, ihnen schreiben, sich für die Haftbedingungen einsetzen. Doch dafür fehlt ihnen häufig die Zeit. In Lima klingelte kurz vor Weihnachten 2002 das Telefon bei Pfarrer Folkert Fendler. Dran war die Deutsche Botschaft, die sich erkundigte, ob die Gemeinde wohl ein paar Weihnachtspäckchen für deutschsprachige Gefangene packen könnte. Der Pfarrer buk Stollen, es wurde gesammelt und 27 Häftlinge in Limas Knästen freuten sich unglaublich.
Kakerlaken, Ratten, nicht einmal Zellen
Fendler hingegen war erschüttert, wie er auf der Webseite der Evangelischen Kirche Deutschland berichtet. Matratzen, Betten oder Zellen gab es nicht, die Gefangenen hausten im Flur oder auf dem Hof gemeinsam mit Ratten und Kakerlaken. Viele konnten kein Spanisch, hatten weder einen Anwalt noch persönliche Habe. Eine Decke müssen sich die Häftlinge in Lima zusammensparen, für eine Zelle Miete beim Wärter berappen, das Essen enthält kaum Vitamine. Bei den Weihnachtsplätzchen blieb es nicht, inzwischen kümmert sich ein Betreuungskreis der Kirchengemeinde regelmäßig um die Gefangenen, bringt ausgelesene Zeitungen oder Seife.
Die meisten deutschen Häftlinge aber sitzen in spanischen Knästen, etwa 600. Kein Wunder, leben doch etwa eine halbe Million deutscher Residenten an den sonnigen Küsten. Für das deutsche Pfarramt an der Costa Blanca ist Wolf-Peter Bethe unterwegs. Er berichtet auch im EU-Land Spanien von Ungeziefer im Knast von Alicantine, der außerdem weder über Heizung für die feuchten Winter noch über Klimaanlage gegen die Sommerhitze verfügt.
Auswärtiges Amt kann Todesstrafe nicht immer verhindern
Der Einsatz für Deutsche im Ausland ist eine diplomatische und politische Gratwanderung. Der deutsche Staat versucht, seine Bürger vor der Todesstrafe zu bewahren, doch eine Erfolgsgarantie gibt es nicht. 2010 durfte Dieter Riechmann die Todeszelle in Florida verlassen, nachdem er 22 Jahre zuvor wegen Mordes zum Tod verurteilt worden war - wie er beteuert zu Unrecht. Das Auswärtige Amt hatte den Fall über die Jahre begleitet, unter anderem Anwaltskosten ausgelegt. Letztlich mit Erfolg.
2006 gelang es dank LKA-Ermittlungen in Deutschland, bei einem in Thailand wegen Drogenschmuggels verurteilten Gefangenen, die Todesstrafe in eine Haftstrafe umzuwandeln. Doch in Thailand sitzen noch mehr deutsche Todeskandidaten ein. Nichts tun konnten die deutschen Behörden für einen Sexualstraftäter, der in Brasilien vermutlich von der Polizei zu Tode gefoltert wurde.
Zu diplomatischen Verwicklungen führte in den 1990er Jahren der Fall der Brüder LaGrand. Die beiden hatten eine Bank in Arizona überfallen und den Bankdirektor erstochen. 1999 wurden sie durch Giftspritze und Gaskammer hingerichtet. Allerdings hatten die amerikanischen Behörden die Brüder nicht über ihr Recht informiert, dass sie Beistand beim deutschen Konsulat suchen konnten. Erst nach dem Todesurteil setzte sich das Auswärtige Amt für Walter und Karlheinz LaGrand ein. Da war es jedoch zu spät.
zij/news.de