Panorama

Serienmörder: Dem Bösen ins Auge geschaut

Was hat den Mörder angetrieben? Bild: iStockphoto

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Die Tierschützer von Peta sind immer gut für provokante Kampagnen. Eine der neuesten heißt «Menschen, die Tiere quälen, belassen es selten dabei». Sie berufen sich auf ein Interview mit dem «Rhein-Ruhr-Ripper» Frank Gust, der sagt, wer mordet, hat früher auch Tiere misshandelt.

Was ist da dran, wollten wir wissen, und fragten Stephan Harbort, den Experten für Serienmord in Deutschland. Er gab uns gleich ein komplettes Interview.

Herr Harbort, was fasziniert Sie an Serienmördern?

Harbort: Nichts.

Warum beschäftigen Sie sich dann so intensiv mit Ihnen?

Harbort: Ich bin an Tatorten gewesen, die sehr unappetitlich waren, ich habe an Obduktionen teilgenomnen, die sehr unschön waren, und ich habe Todesbotschaften überbringen müssen. Wer das kennt, kann an diesen Dingen nichts Faszinierendes finden. Die Faszination des Verbrechens entsteht nur, weil der normale Mensch sich von besonders grausamen Verbrechen und Verbrechern durchaus angezogen fühlt, er aber verständlicherweise über kein Spezialwissen verfügt. Die Leerstellen der Verbrechen werden zwangsläufig gefüllt mit Pseudowissen, das in der Regel aus populären Quellen stammt - und aus diesen Umständen wird eine gewisse Faszination gespeist. Was mich am Phänomen Serienmord interessiert, ist, dass man aus der Arbeit mit diesen Tätern Ermittlungsmethoden generieren kann, die dazu beitragen, solche Verbrecher schneller aus dem Verkehr zu ziehen.

Eine Bekannte hat kürzlich herausgefunden, dass ihr inzwischen Ex-Mann ihre Katze gequält und getötet hat. Die beiden haben drei Kinder. Muss sie Angst haben?

Harbort: In erster Linie muss sie mal Angst um ihre Katzen oder andere Haustiere haben. Ernsthaft: Ich weiß, worauf Sie hinaus wollen, es heißt ja, dass insbesondere Serienmörder, die ein sadistisches Gepräge erkennen lassen, eigentlich immer als Tierquäler in ihrer Kindheit in Erscheinung treten. Aber dieses Kriterium allein ist wenig aussagekräftig, da müssen schon noch eine Reihe weiterer Faktoren hinzutreten. Ich halte ein solches Verhalten zwar für bedenklich, aber ich würde jetzt nicht sagen, das ist ein potentieller Mörder.

Geht das grundsätzlich? Kann man anhand einer bestimmten Kombination von Eigenschaften einen potentiellen Serienmörder erkennen?

Harbort: Das wäre ja wunderbar. Ich hatte auch, als ich mit meinen Untersuchungen anfing, die Idee entwickelt, wir machen so eine Art Frühwarnsystem. Da filtern wir aus den Lebensläufen und Verhaltensmustern der Täter bestimmte häufig zu beobachtende Merkmale und nutzen diese wie eine Checkliste. Aber die Wahrheit ist: Man findet zwar solche Indikatoren, aber sie sind nur bedingt aussagekräftig, da sie auch in der nichtkriminellen Bevölkerung gehäuft vorkommen. Wenn wir beispielsweise jemanden haben, der zwischen 20 und 40 Jahre alt, männlich und durchschnittlich intelligent ist, sozialer Außenseiter, vorbestraft, Schulversager und von Beruf Handwerker – dann charakterisiert man damit eben nicht nur den durchschnittlichen Serienmörder, sondern auch zahlreiche andere Menschen, die zeitlebens rechtstreu bleiben.

Aber ich dachte, Typologisierungen zu erstellen, sei ein wesentlicher Teil ihrer Arbeit?

Harbort: Das stimmt schon. Nur darf man diesen Typologien nicht zu viel Aussagekraft beimessen, sie haben eher einen Ordnungscharakter, verschaffen Überblick. Das große Manko der kriminologischen Typologie ist, dass sie im Regelfall zu grobkörnig bleibt. Und vielfach stellt man später fest, dass die beschriebenen Idealtypen in der Verbrechensrealität eher selten zu beobachten sind, dafür aber gehäuft Mischformen. Es ist aber andererseits auch eine wichtige Erkenntnis, dass man nicht einfach nach Schablone vorgehen kann.

Dennoch gibt es sicher Schemata, die man bei vielen findet. Sie haben mit mehr als 70 Gewaltmördern gesprochen. Was empfinden die bei ihrer Tat?

Harbort: Ich habe mal mit einem dreifachen Raubmörder gesprochen, ein Drogensüchtiger, der sagte mir: «Die erste Tat war für mich ein Schlüsselerlebnis, ich hab mich so stark und mächtig gefühlt, weil ich zum ersten Mal eine Situation hatte, wo nur ich entscheiden konnte. Danach war ich drei Tage lang wie im Rausch und habe die Menschen nur noch als Opfer und Nichtopfer betrachtet.» Er hat im Zuge seiner mörderischen Karriere eine soziale Identität entwickelt, sah sich als jemand, der über Leben und Tod entscheiden konnte. Er war dadurch eben kein Versager mehr, sondern jemand, der Macht ausübt. Verkürzt könnte man es so sagen: Der Loser ist tot, es lebe der Mörder! Das ist eine Erfahrung, die alle Täter prägt, unabhängig davon, welches Motiv sie vordergründig verfolgen.

Stehen Serienmörder meistens am Rand der Gesellschaft?

Harbort: Überwiegend ist das so. Allerdings werden die meisten Täter nicht ausgegrenzt, sondern begeben sich selbst in die soziale Isolation. Subjektive Außenseiterpositionen sind also wesentlich häufiger. Es gibt aber auch Täter, die sind angesehene Ärzte, und dazwischen gibt es Leute, die von beidem ein bisschen was haben.

Kann man also überspitzt sagen, dass in jedem ein Serienmörder steckt?

Harbort: Nein, so pauschal kann man das nicht sagen. Aber mir hat mal ein Täter einen bedeutsamen Satz geschrieben: «Die meisten Menschen wissen doch nicht, wozu sie fähig sind.» Das kann man nur unterstreichen. Denn er, der später eine ganze Reihe von Tötungsdelikten beging, wusste bis wenige Minuten vor der Tat auch nicht, dass er zu einem grausamen Mord fähig wäre.

In diesem Zusammenhang kommt oft der Gedanke ans Dritte Reich, die SS-Männer und KZ-Aufseher. In einer Demokratie hätten die meisten von ihnen sicherlich niemanden umgebracht.

Harbort: Deshalb weise ich auch immer darauf hin, dass es wenig Sinn macht, nur den Täter isoliert zu betrachten und ihn nur über sein kriminelles Handeln zu definieren. Gerade im Dritten Reich haben insbesondere die äußeren Umstände das Handeln der Täter bestimmt, und weniger die persönliche Befindlichkeit oder Pathologie. In diesem Kontext würde ich schon eher sagen, dass die meisten Menschen bereit sind, Tötungen zu begehen.

Wie ist es, jemandem gegenüber zu sitzen, der mehrere Menschen kaltblütig umgebracht hat?

Harbort: Ich habe dabei Menschen kennengelernt, die mich beeindruckt haben, im negativen wie im positiven Sinne. Das erste Gespräch war dummerweise gleich eines, das ich am liebsten gar nicht geführt hätte. Aber es war auch eine ungemein prägende Erfahrung, so eine Art Stahlbad. Wenn du so etwas erlebt hast, kann dich nicht mehr viel überraschen.

Erzählen Sie!

Harbort: Ich bekam eine Postkarte von einem gewissem Reiner Sturm, der schrieb zum Schluss: «Wollen Sie mich nicht mal besuchen kommen?» Sturm war jemand, der in den 1970er Jahren zwei Frauen ermordet hatte und während der Flucht einem Mann hinterrücks die Kehle durchgeschnitten hatte, der ihn nichts ahnend aufgenommen hatte. Mit Sturm habe ich sechs Stunden zusammengesessen. Der Wärter, der mich damals zum Hochsicherheitstrakt führte, sagte: «Der ist jetzt 20 Jahre in Einzelhaft gewesen, der ist immer noch hochgefährlich. Aber wenn was ist, da kommen wir sofort. Setzen Sie sich am besten neben den roten Alarmknopf.» Da war ich schon ziemlich angefressen, weil ich nicht wusste, worauf ich mich da eingelassen hatte.

Aber Sie sind reingegangen.

Harbort: Bange machen gilt nicht, habe ich mir gesagt. Sturm saß mir Minuten später gegenüber, einen Kopf kleiner als ich, muskelbepackt. Ein ausgesprochen lebhafter Gesprächspartner, der immer wieder aufsprang und mit einem Kugelschreiber demonstrierte: «So hab ich dem die Kehle durchgeschnitten». Das alles hat mich nicht so sehr beeindruckt, weil ich das Gefühl hatte, er versucht hier die „Bestie“ zu geben. Nach drei Stunden jedoch versuchte er zum ersten Mal, sich so etwas wie ein Lächeln abzuringen. Und dieses seelenlose Grinsen, das werde ich nie vergessen - eine diabolische Maske. Ein abgründiges, kaltes, zynisches Grinsen. Mit dieser Grimasse verriet er mehr über sich als in all dem, was er mir sagte oder demonstrierte. Und genau in diesem Moment, nicht davor und auch nicht wieder danach, hatte ich das Gefühl: Das hier könnte das Böse sein, sozusagen Fleischgeworden. Das konnte ich förmlich spüren, mir wurde es regelrecht kalt ums Herz. Ich habe an die Opfer denken müssen, weil die sicherlich im Angesicht dieser Fratze gestorben sind, und das muss ein furchtbar grausames Ende gewesen sein.

Haben Sie das Gespräch abgebrochen?

Harbort: Nein, das wollte ich ihm nicht durchgehen lassen, es war ja auch eine gewisse Rivalität entstanden, wer verlässt diesen Ring als Sieger, und das habe ich ihm nicht gegönnt. Wir haben dann sechs Stunden miteinander verbracht, und er war am Schluss so erschöpft, dass er sagte: «Ich muss jetzt raus.»

Denken Sie, Sie sind zu dem Menschen durchgedrungen?

Harbort: Ich hab schon seinen Charakter erkennen können. Mir ist nicht nur ein kaltblütiger Serienmörder begegnet, sondern auch ein Mensch, der förmlich nach Liebe, Anerkennung und Geborgenheit schreit. Das ist mir in dieser eindringlichen Form selten begegnet: ein Mann, der sich soweit von der Gesellschaft entfernt hat, dass es kein Zurück gibt. Hoffnungslos. Das ist eine beklemmende Situation.

Ist das ein Merkmal, das man Mördern allgemein zuschreiben kann? Diese fehlende Liebe?

Harbort: Einigen mit Sicherheit, aber es gibt eben auch Typen, die sind tatsächlich verroht und frei von jeder Empathie. Aber ich meine schon, dass in jedem dieser Täter ein emotionaler Kern steckt, über den man ihn erreichen kann. Aber diese Menschen schaffen es eben auch, in der konkreten Tatsituation Gefühle völlig auszuschalten und in Menschen nur noch Gegenstände zu sehen, die es zu bearbeiten und schließlich zu beseitigen gilt.

Gibt es Gesellschaften, die mehr Serienmörder hervorbringen als andere?

Harbort:

Ja, man kann schon sagen. Gerade die westlichen Industrienationen sind häufiger von Serienmorden betroffen. Aber es gibt auf der ganzen Welt keine Polizeistatistik, die ein solches Phänomen über einen längeren Zeitraum verlässlich beschreiben könnte, und es gibt leider auch keine international gültige Definition. Deshalb sind solche Zahlen insgesamt wenig aussagekräftig.


Stephan Harbort ist Kriminalhauptkommissar in Düsseldorf. Er ist Experte für Serienmorde und Täterprofile und entwickelte in Zusammenarbeit mit verschiedenen Universitäten spezielle Fahndungsmethoden. Dabei entstand auch die Datenbank «Dragnet» zur Überführung von Serienmördern. Harbort hat diverse Bücher veröffentlicht, sein jüngstes,
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