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Kastration: «Schwanz ab» statt elektronischer Fußfessel?

Bei Michelangelos David ist alles dran. Bild: dpa

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Kastration ist kein Thema, über das Mediziner gern sprechen. Zumindest, wenn es nicht um Hunde und Katzen, sondern um Menschen gehen soll. Denn in Bielefeld hat ein besonders ekelhafter Racheakt stattgefunden, der seit Mittwoch vor Gericht verhandelt wird. Ein Vater schnitt dem vermutlichen Liebhaber seiner 17-jährigen Tochter die Hoden ab. Der 58-jährige Mann überlebte. Doch die Anfrage an verschiedenen Unikliniken, was denn so eine Kastration für einen Mann bedeute, löste bei vielen Urologen nur Unverständnis aus. Kein angenehmes Thema.

Doch Wolfgang Bühmann, Pressesprecher des Berufsverbandes der Deutschen Urologen, verfolgt den Prozess. Und erklärt genau, welche Konsequenzen die sogenannte Entmannung für einen Mann hat. Im Bielefelder Fall ist eins für ihn klar: Der Mann hätte sterben können. Denn die Hoden werden durch eine Arterie versorgt, «die, wenn sie aufgeschnitten wird, nicht aufhört zu bluten».

Doch auch, wenn die Geschlechtsorgane bei einer Operation entfernt werden müssen, hat dies gravierende Folgen, wie Bühmann erklärt. Die Hoden produzieren das Hormon Testosteron, verantwortlich für die Libido: «Ohne die Hoden erlischt der Sexualtrieb.» Nebeneffekt sei, dass auch die Aggression der Männer abnehme und sie ausgeglichener würden. «Die Stimmungslage verändert sich. Die Kehrseite ist, dass sie weniger Antrieb verspüren, lustlos werden», sagt der Urologe. Negativ auf die Psyche wirkt sich natürlich auch die körperliche Versehrtheit aus - der Verlust der Männlichkeit. «Das ist ähnlich wie bei einer Brustamputation», erklärt Bühmann.

Männer bekommen Frauenkrankheiten

Nicht nur emotional, auch körperlich werden Männer durch den Verlust der Hoden weiblicher. Muskulatur wandelt sich in Fett um und auch die Körperbehaarung geht zurück. Dazu komme, dass die Knochen ohne Testosteron schneller entkalken - was zu Osteoporose führt, eigentlich eine typische Frauenkrankheit. Eine hohe Stimme, wie früher bei Eunuchen, droht jedoch nicht. Bei den klassischen Kastraten wurde die Verstümmelung schon als Junge durchgeführt, der Stimmbruch fand einfach nicht mehr statt.

Doch Kastration ist nicht nur im Zusammenhang mit sadistischen Racheakten oder Krebserkrankungen ein Thema. In Deutschland ist seit 1969 das sogenannte «Gesetz über die freiwillige Kastration und andere Behandlungsmethoden» in Kraft - ein Gesetz, das der Berliner Männertherapeut Peter Thiel als «Beihilfe zur Selbstverstümmelung und Körperverletzung» bezeichnet. Für ihn ist es nichts anderes, als würde der Staat Ärzten erlauben, auf Wunsch des Patienten Arme oder Beine zu amputieren - und das Bedürfnis zur Kastration nichts weiter als eine Form der Autoaggression.

In der Begriffsbestimmung des Gesetzes lässt sich nachlesen: «Kastration im Sinne dieses Gesetzes ist eine gegen die Auswirkungen eines abnormen Geschlechtstriebes gerichtete Behandlung ...». Damit ist noch die tatsächliche Entfernung der Keimdrüsen gemeint, während 40 Jahre später das Schlagwort «chemische Kastration» in aller Munde ist, wenn es um das Unschädlichmachen von Sexualstraftätern geht.

Chemische Kastration statt Fußfessel?

Wolfgang Bühmann erinnert sich an einen Prozess in den 1960er Jahren, bei dem einem Triebtäter tatsächlich die Hoden abgenommen wurden. «Das ist eigentlich eine sehr moderne Form des Strafvollzugs. Den Tätern wurde angeboten, sich gegen Freigang kastrieren zu lassen.» Die heute mögliche chemische Kastration durch Medikamente hält er für die optimale Möglichkeit, Sexualstraftäter zu bändigen. «Ich frage mich, warum das nicht gemacht wird, gerade vor dem Hintergrund der Diskussion um die Sicherungsverwahrung», sagt der Urologe.

Peter Thiel ist ein Gegner dieser Option - er hält sie auch nicht für wirksam. «Das Bösartige, Destruktive einer Persönlichkeit ist nicht durch eine Kastration verschwunden. Es sitzt im Kopf und nicht im Schwanz», betont er. Selbst wenn durch den Eingriff sicher gestellt sein sollte, dass der Mann keine Frau mehr penetrieren könne, werde sich die Destruktivität anders äußern. Aus Mangel an Fakten ist der Ruf nach dem chemischen «Schwanz ab» für Therapeut Peter Thiel vor allem eins: eine populistische Politiker-Ente, die das Volksbedürfnis nach Sicherheit ruhigstellen will.

Bühmann hingegen ist vom Erfolg überzeugt. Der Sexualtrieb werde mit Sicherheit unterbunden - und ohne Testosteron auch die allgemeine Destruktivität gemildert. «Das ist in jedem Fall besser als die elektronische Fußfessel», findet er.

reu/news.de