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Loverboy-Opfer: Ein Leben zwischen Schule und Strich

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Eine von vielen Arten, wie Loverboy-Opfer missbraucht werden: Arbeit auf dem Straßenstrich. Bild: dapd

Sie ist 15, macht ihr Fachabitur und hat sich gerade von ihrem Freund getrennt: Als Melanie (Name von der Red. geändert) eines Tages auf dem Nachhauseweg ist, spricht ein gutaussehender junger Mann sie an. Sie kommen ins Gespräch, verabreden sich und treffen sich. Er macht ihr Komplimente und sie beginnt, sich in ihn zu verlieben. Beim vierten Treffen nimmt er sie mit in eine Wohnung und die beiden schlafen miteinander. Was Melanie zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiß: Es wird für sie nicht der letzte Sex an diesem Abend sein.

Der etwa 20-jährige Türke hat rund fünf weitere Männer eingeladen - wie viele es genau sind, kann Melanie nachher nur noch schätzen. Ihr vermeintlich neuer Freund bedroht sie jetzt, schlägt sie und zwingt sie zum Sex mit seinen Kumpanen - ungeschützt. Von der Gruppenvergewaltigung drehen die Männer ein Video. Bevor Melanie an diesem Abend nach Hause geht, drohr er ihr: Wenn sie etwas verrät, wird er das Video ins Internet stellen - und sie wäre dann in der ganzen Stadt als Schlampe bekannt.

Im folgenden Jahr schickt er sie auf den Straßenstrich und zu Freiern nach Hause, er setzt sie unter Drogen, misshandelt sie mit Rasierklingen, erklärt ihr aber auch immer wieder, dass er sie liebt und sie das Geld aus der Prostitution für eine gemeinsame Zukunft brauchen. Als Melanie schwanger wird, misshandelt er sie so sehr, dass sie das Kind verliert. Trotzdem kommt sie nicht von ihm los, beteuert immer wieder, dass sie ihn liebt.

Zum Sex mit dem eigenen Lehrer gezwungen

Melanie ist das Opfer eines Loverboys - eines Mannes, der sich das Vertrauen und die Zuneigung junger Mädchen erschleicht, um sie dann in der Prostitution auszubeuten. Ihre Geschichte stammt nicht aus einem Film, nicht aus dem Ausland, sondern ist in den Jahren 2009 und 2010 in Deutschland geschehen, in Nordrhein-Westfalen.

Anvertraut hat Melanie ihre Geschichte Bärbel Kannemann. Die ehemalige Polizistin betreut Loverboy-Opfer für die Stiftung StopLoverboysNu aus den Niederlanden, wo diese Verbrechen seit Jahren ein großes Problem sind. Über die Jahre sind dort die grausamsten Fälle bekannt geworden: 11-Jährige, die zur Prostitution gezwungen werden; Loverboy-Opfer, die ihre eigenen Lehrer aus der Schule als Freier haben; Mädchen, die tagelang an der Heizung gefesselt liegen und vergewaltigt werden.

Doch es ist kein rein holländisches Problem. «Mittlerweile bekomme ich auch rund fünf Anrufe pro Woche aus Deutschland», sagte Kannemann. Es melden sich einige Opfer, vor allem aber viele Eltern, die sich um ihre Töchter sorgen. Insgesamt hat Kannemann schon zwischen 80 und 100 solcher Anfragen erhalten, die meisten aus Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Baden-Würtemberg. Ein Mädchen erzählte der Frau von Stop Loverboys, wie sie als Minderjährige regelmäßig in einem noblen Hotel auf die Zimmer von Geschäftsmännern gebracht wurde - das Personal schaute weg.

«Die meisten Opfer finden die Loverboys im Internet»

Bei ihr bekommen die Opfer von Loverboys Hilfe: Bärbel Kannemann von der Stiftung StopLoverboysNu. Bild: dpa

Das System der Loverboys funktioniert immer gleich: Die jungen Männer, meist mit Migrationshintergrund, suchen Mädchen, die leicht ansprechbar sind, sich nach Zuneigung sehnen. Sie machen ihnen Geschenke, erzählen von Liebe und einer gemeinsamen Zukunft. Schließlich vergewaltigen sie die Mädchen, setzen sie unter Drogen, bedrohen, erpressen und misshandeln sie und schicken sie in die Prostitution. Im Gegensatz zu Zuhältern kassieren die Loverboys nicht nur einen Teil des Geldes ab, sondern alles.

Oft müssen die Opfer auch bei anderen Verbrechen helfen, wie dem Schmuggel von Kokain oder Waffen. Viele der Mädchen leben dabei noch zu Hause, die Eltern schieben Veränderungen auf die Launen eines pubertierenden Mädchens. Mancher Loverboy achtet sogar darauf, dass sein Opfer regelmäßig zur Schule geht, damit nichts auffällt, und sitzt als vermeintlicher Freund mit am Essenstisch der Familie.

Bärbel Kannemann erkennt zurzeit aber auch neue Trends. «Mittlerweile finden die Loverboys die meisten Opfer im Internet», sagt sie. In Sozialen Netzwerken wie Facebook oder Chaträumen wie Knuddels suchen und finden sie Mädchen. «In Deutschland haben rund 80 Prozent der Fälle, die mir bekannt sind, im Internet begonnen», sagt Kannemann.

«Theoretisch kann jedes Mädchen Opfer werden»

Außerdem konzentrieren sich die Loverboys dort nicht mehr nur auf die jungen Mädchen. «Sie haben es zunehmend auch auf Frauen Ende, Mitte 20 abgesehen», sagt die ehemalige Polizistin. «Die Frauen, die darauf einsteigen, kommen oft aus einer kaputten Beziehung und sind darin vielleicht sogar vergewaltigt worden.» An ihrer Art zu schreiben könnten die Zuhälter meist leicht erkennen, dass diese Frauen unsicher und auf der Suche nach Geborgenheit seien.

«Theoretisch kann jedes Mädchen Opfer werden, aus jeder sozialen Schicht», sagt Kannemann. «Fast allen gemeinsam ist nur, dass sie in dem Moment, in dem sie angesprochen werden, leicht beeinflussbar sind.» Melanie aus NRW etwa kommt aus gesicherten Verhältnissen, einer normalen Mittelstandsfamilie, suchte nach der Trennung von ihrem Freund aber neuen Halt. 

Mittlerweile ist Melanie von ihrem Peiniger losgekommen - aber nur, weil er wegen eines Tötungsdeliktes ins Gefängnis wanderte. Das suizidgefährdete Mädchen wendete sich an Bärbel Kannemann und kam schließlich in eine psychiatrische Klinik. Heute ist sie draußen. «Endlich bin ich frei», schreibt sie Kannemann. «Ich kann wieder lernen, in der realen Welt zu leben. Ich kann nach draußen gehen ohne Angst, dass er mich findet und mich wieder bedroht.» Trotzdem wohnt sie aus Sicherheitsgründen noch nicht wieder zu Hause. Das wird erst in ein paar Wochen möglich sein - wenn ihre Familie in eine andere Stadt gezogen ist.

Die Stiftung StopLoverboysNu gibt auf ihrer Website Tipps zu den Fragen «Wie erkenne ich Opfer eines Loverboys?» und «Ist mein Freund ein Loverboy?». Sie bietet auch direkte Beratung und Hilfe für Opfer und Eltern an.

jag/ivb/news.de