Panorama

Jugendstrafanstalt: Wie es im Folterknast wirklich zugeht

Ein Jugendzimmer? Fast. Eine Zelle in der Jugendstrafanstalt Regis-Breitlingen. Bild: news.de

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An der Wand hängt ein Brief. «Happy New Jahr» steht darauf, geschrieben von einem Mädchen. Ein Mädchen, das draußen wartet, in Freiheit. Ein Mädchen, dessen Gesicht von Fotos auf den Jungen schaut, während er seine Zelle in der Jugendstrafanstalt (JSA) Regis-Breitingen putzt.

Normalität. Im Haus E sind die Betten abgezogen, Wischeimer stehen im Flur, der Fernseher läuft. Neben den Eimern stehen zwei junge Männer, quatschend, in dunkelblau, Anstaltskleidung. Sie sollen den Boden in ihren «Buden» wischen, wie es hier heißt. Eine Fläche von jeweils zehn Quadratmetern. Die meisten der 308 Jugendlichen, die zurzeit hier untergebracht sind, haben ein eigenes Zimmer.

«Die kleinen Wohngruppen mit jeweils zwölf Bewohnern und Einzelunterbringung sind ein Hauptmerkmal des Jugendvollzugs», sagt Anstaltsleiter Uwe Hinz. «So hat jeder die Möglichkeit, sich zurückzuziehen.» Thomas P. hatte diese Chance nicht, oder besser, sie wurde ihm von den Mitgefangenen nicht gegönnt. Weil er von ihnen mit Stockschlägen und grausamen Spielchen gequält wurde, ist Regis-Breitingen für die Medien ein «Folterknast». Das belaste ihn und seine Mitarbeiter, sagt Hinz.

Dabei setzt der 46-Jährige auf Transparenz. Bei Tagen der offenen Tür. So wie es keine Mauer um die JSA gibt, sondern einen blickdurchlässigen Zaun, will er zeigen, dass seine Anstalt nicht besser ist als andere, aber auch nicht schlimmer.

Als vor zweieinhalb Jahren das Gefängnis neu eröffnet wurde, war das Vollzugskonzept klar: Jugendliche sollen je nach Hafterfahrung zusammen in Häusern untergebracht werde. «Sie sollten sich recht frei bewegen können, um Psychologen und Sozialarbeiter selbstständig aufzusuchen und Freizeitmöglichkeiten zu nutzen», sagt Uwe Hinz.

Dieser konzeptionelle Gedanke wurde im vergangenen Jahr «nachgebessert» - nach dem Folterskandal. «Die Ereignisse haben gezeigt, dass es genügt, wenn es nur ein, zwei Jugendliche gibt, die mit diesen Grenzen nicht umgehen können», sagt Hinz. Nun werden die einzelnen Wohngruppen voneinander separiert. So behalten die Vollzugsbeamten leichter den Überblick.

Die Stimmung ist gelöst. Bedienstete sitzen in einem Glaskasten zwischen zwei Stationen, laufen durch die Zimmer und scherzen mit den Jugendlichen. Von der Wand im Gemeinschaftsraum schaut kein Mädchen, sondern Rapper Sido in mehrfacher Ausführung zwei anderen beim Essen zu. Die, die gerade nicht da sind, haben wahrscheinlich Schulunterricht oder lassen sich in Gärtnerei, Holzverarbeitung, Metallbau und Bäckerei ausbilden. Dort sollen sie erstmal lernen, kleinere Brötchen zu backen als im Leben vor dem Knast. «80 Prozent der Jugendlichen sind in Beschäftigung», sagt Uwe Hinz.

Das Leben soll der Freiheit möglichst ähnlich sein

Auch das Argument, es gebe zu wenig Personal, um die Jugendlichen im Griff zu halten, lässt er nicht gelten. «Wir haben keinen Personalmangel. Aber ich kann nicht hinter jeden Jugendlichen einen Bediensteten stellen. So erreichen wir nichts.» Das weiß Hinz, der seit Mitte der 1990er Jahre im Strafvollzug arbeitet, aus Erfahrung.

Und Wegschließen sei selbstverständlich auch keine Lösung. Denn die Jugendstrafvollzugsanstalt habe den Auftrag, die Lebensverhältnisse so weit wie möglich denen draußen anzugleichen. Jugendliche sollen die Möglichkeit haben, in der Haft gelernte soziale Kompetenzen auch zu erproben. Hier bekommt jeder, mancher zum ersten Mal, einen festgelegten Tagesablauf. 6 Uhr aufstehen, Frühstück, 7 Uhr Schule, Ausbildung oder Arbeit, ab 15.30 Uhr geht’s zurück auf die Station, danach Hofgang, Sport, Therapie. Zur Weihnachtszeit basteln die Gefangenen Baumschmuck oder Weihnachtskarten für ihre Angehörigen. Junge Väter studieren Der Wolf und die sieben Geißlein ein, um es für ihre Sprösslinge im Knasttheater zu spielen.

Durchschnittlich verbringen die Jugendlichen ein Jahr und zwei Monate in Haft. 60 Prozent sitzen wegen Gewalttaten, Raub, Körperverletzung, Mord. «Sie kommen nicht nur aufgrund der Verurteilung hierher, sie tragen die Gewaltproblematik in sich», sagt Hinz. Eine Gewaltkarriere, die vielleicht schon im Kindergarten angefangen habe, könne oft nicht in kurzer Gefängniszeit beendet werden. Die Fortführung von dem, was die Jugendlichen seit Jahren draußen erlebt haben, sind die «Knastspielchen». Die seien auch unter den Vollzugsbeamten bekannt. «Und wenn sie das sehen, gehen sie dazwischen. Oft wird der Bedienstete aber abgelenkt.» Oder die Jugendlichen nutzen den unbeobachteten Moment, wenn die Beamten gerade einen der Gefangenen zum Besucherraum führen.

Dorthin, wo gerade eine Mutter mit ihrer kleinen Tochter bereits voller Ungeduld in Zeitschriften blättert. Sie lachen, freuen sich auf das Treffen. Ihre Ausweise und Handys mussten die Besucher abgeben, bevor sie ihren Lieben besuchen, den Sohn und Freund, der hier einsitzt, weil er ein brutaler Gewaltverbrecher ist.

Er habe keine aktuellen Zahlen, aber sein Gefühl sage, dass Jugendliche orientierungsloser, gewaltbereiter geworden sind, sagt Hinz. Drinnen im Knast genauso wie draußen. «Wenn früher das Opfer einer Gewalttat am Boden gelegen hat, war Schluss. Heute wird noch mal richtig auf ihm herumgetrampelt», sagt Uwe Hinz.

iwi/ivb/news.de