Vater sein: Auf das Sorgerecht verzichten oder das Kind zerreißen?
Von news.de-Redakteurin Isabelle Wiedemeier
29.05.2019 18.06
Manchmal sieht es aus, als sei der größte Fehler der Väter, dass sie keine Mütter sind. Zum Beispiel, wenn man die Rechtslage in Deutschland anschaut. Welcher Kindergarten ihr Kind prägen soll, ob Regel-, Waldorf- oder Kreativschule, Homöopathie oder Mandeln raus – dabei haben Väter nur dann mitzureden, wenn die Mutter es billigt: Wenn sie den Vater entweder geheiratet hat oder mit ihm gemeinsam auf dem Amt das Sorgerecht einträgt.
Väter verlieren im Streit um das Sorgerecht oft die Mitsprache
"Sonst wird der Vater auf reines Alimente zahlen reduziert. Das ist am Ende der Sieg der Mütter", sagt Andreas (Name von der Redaktion geändert). Aus seinem Mund klingt der Satz nicht wie ein Machospruch. Andreas ist 40, hat zwei Kinder und versucht seit zwei Jahren, ihr Vater zu sein. Viele Worte sind geflossen, mit der Anwältin, mit Beratungsstellen, mit dem Jugendamt. Die große Tochter hat er seit Monaten nicht gesprochen, den Kleinen sporadisch - wenn und wie die Mutter es zulässt.
Dabei ist er mit der Mutter sogar verheiratet, sie teilen rein rechtlich das Sorgerecht. "Das größere Problem ist nicht das Sorge-, sondern das Umgangsrecht", ist Andreas' Erfahrung. Denn dass er formell über sein Kind mitbestimmen darf, sei zwar eine gute Sache - "aber es ist nur die Theorie".
Umgang, das sagt das Wort, setzt Bereitschaft zur Zusammenarbeit voraus. Doch wenn Menschen sich trennen, wenn sie sich angeschrieen haben, dem einen vielleicht die Hand ausgerutscht ist, wenn das Innerste nach außen und das Äußerste nach innen gekehrt wurde, dann fehlt der Wille. Rache braucht Macht, und ein Machthebel sind die Kinder. "Die Aggressionen der Frauen sind schwerer nachweisbar als die der Männer. Subtiler", sagt Andreas.
Das Umgangsrecht kann für Väter schwer durchzusetzen sein
Normalerweise sähe er seine Kinder 14-täglich am Wochenende und einmal in der Woche, die Ferienzeit würde geteilt und regelmäßig Telefonkontakt gehalten. "Das ist die optimale Lösung, denn für das Kind ist ja weiterhin eine stabile Beziehung zum Vater wichtig. Doch das wird in Streitfällen von der Mutter übersehen", beschreibt Andreas nüchtern seine Situation. Er hat längst begriffen, dass er sich nur schwächer macht, wenn er ausrastet, dass er damit nur täte, was die Mutter letztlich von ihm erwartet. "Um zu zeigen, der kann das Kind nicht betreuen. Aber das blicken viele Männer nicht." Deshalb ist er analytisch und geht Schritt für Schritt vor. Es brodelt nur innerlich.
Weil sein kleiner Sohn, den er eigentlich am Wochenende sieht, ständig spontan "krank" wird, Termine verlegt werden, er Auflagen zu erfüllen hat, was mit dem Kleinen unternommen werden soll. Kino statt zusammen spielen, möglichst wenig Persönliches. "Es werden Regeln definiert, die für den Mann demütigend sind – zum Teil auch schwer verletztend." Wenn ihm untersagt wird, seinen Kindern die neue Partnerin vorzustellen, er ihnen seine neue Wohnung nicht zeigen darf – das Druckmittel Totalentzug steht immer im Raum. "Ich habe keine Handhabe. Die Beweislage ist schwierig."
Schritt eins ist zwei Jahre her. Das Gespräch mit der Mutter gesucht, im Guten. Auch Schritt zwei verlief im Sande: Freunde der Mutter sollten als Mittler wirken. Der dritte Schritt führte Andreas zum Jugendamt. Das möchte sich am liebsten raushalten, denn den Umgang müssen die Eltern selbst gestalten. Wenn es doch zu einem Gespräch komme, stehe dann eben Aussage gegen Aussage, erzählt Andreas. "Als Vater bist du immer in der Beweispflicht, es ist immer ‹die arme Mutter›".
Das Jugendamt verweist dann auf eine Beratungsstelle, und die Zeit verrinnt. Zeit, in der Andreas seine Kinder fehlen. Noch immer wird darauf gesetzt, dass auch die Mutter zu einer Einigung bereit ist. "Sie sagt nicht, sie wolle nicht. Sondern verzögert und verschleiert."
Streit um das Sorgerecht, warum ein Vater aufgibt
De facto habe man als Vater keine Chance. Es sei denn, man weist der Mutter Kindswohlgefährdung nach, da geht es dann schon ums Sorgerecht. "Dazu müsste sie aber asozial und alkoholabhängig sein, und das sind die meisten Mütter nicht. Sie vermengen den Partnerkonflikt mit dem Kindesthema", sagt Andreas. "Aber es ist nichts anderes als Rechtsbeugung zu Lasten der Kinder. Die Frau kann durchaus Opfer in der Beziehung sein. Sie wird aber dann zur Täterin. Das durchschauen die wenigsten Gerichte. Auch das Jugendamt nicht."
Andreas steht jetzt kurz vor seiner zweiten Gerichtsverhandlung. Eine Verfahrenspflegerin ist bestimmt worden, die sich ein objektives Bild machen soll, von den Eltern, von den Kindern, von der Situation. Sie soll auch vor Gericht für die Kinder sprechen. "Aber selbst, wenn Verfahrenspflege, Beratungsstelle und Gericht positive Entscheidungen treffen, bedeutet das für den Mann keine Verbesserung: Denn der Frau stehen dieselben Mittel zur Verfügung wie vorher."
An diesem Punkt denkt Andreas an Brechts Kaukasischen Kreidekreis. Jetzt kann er seine Frau vor den Kadi zerren und ums Sorgerecht kämpfen. Jede schmutzige Socke umkrempeln. An den Kindern zerren. Oder sich zurückziehen – und sich später den Vorwurf der Kinder gefallen lassen, er habe nicht für sie gekämpft. "Egal, was du machst, es ist sowieso falsch. Letztlich muss man sich der Frage stellen, zum Wohle des Kindes zu verzichten – in der Hoffnung, dass sie es später mal hinterfragen. Ich hab das für mich schon durch", sagt er. Dass seine Kinder zerrissen aufwachsen und später vermutlich beziehungsgestört sind, hat er verinnerlicht.
Aber auch über Lösungen hat sich Andreas Gedanken gemacht. Er will sich engagieren, wenn es an der Zeit ist. Vom Gericht sollte beiden Eltern eine Intensivberatung auferlegt und den Beratungsstellen mehr Gewicht gegeben werden, um für die Kinder zu bewerkstelligen, wozu die Eltern nicht fähig sind. Um niedere Motive zu beschneiden und Objektivität möglich zu machen. "Die neue Familienministerin könnte so ein Thema mal anfassen. Das ist eine heiße Kartoffel", sagt er. Nicht nur leidgeprüfte Väter, sondern auch Frauen wünscht er sich bei solchen Beratungsstellen. Frauen, die selbst Trennungskinder sind. Öffentlichkeit für beide Seiten erzeugen.
Er hat schon einen dicken Leitz-Ordner für seine große Tochter voll mit Briefen, Dokumenten, Aufzeichnungen – damit sie weiß, dass er doch eine Geburtstagskarte geschrieben hatte, auch, wenn sie nie ankam. Dass er sie angerufen hat, auch wenn das Telefon ausgestöpselt war. Dass er Vater war, obwohl er nicht durfte.
iwe/news.de