Warum Tattoos?: «Eine Art der Autoaggression»
Von news.de-Mitarbeiter Oliver Neumann
30.11.2011 14.50
Sind TĂ€towierungen eine Mode von ausgeflippten Stadtmenschen?
Hofmeister: Das ist nicht so leicht zu beantworten. Was man sagen kann ist, dass das Klischee des Ausgeflippten den TÀtowierungen noch nachhÀngt. Bis vor zehn, 15 Jahren waren Tattoos noch stigmatisiert, damals waren oft nur Kriminelle und Gefangene tÀtowiert. Das hat sich verÀndert, Tattoos wurde mehr und mehr zu Körperschmuck. Die ersten TÀtowierungen waren dann in den Subkulturen zu erkennen, etwa bei Rockern und im Punk hat sich das durchgesetzt. Und solche Subkulturen findet man möglichweise eher in der Stadt als auf dem Land. Aber die Tendenz geht dahin, dass dieser Trend die gesamte Republik erfasst. Weil wir gesellschaftlich eine Tendenz zur IndividualitÀt haben, hat sich TÀtowieren auch zu einer Mode entwickelt.
Was bewegt Menschen, sich tÀtowieren zu lassen?
Hofmeister: Zwischen bewusster und unbewusster Entscheidung lĂ€sst sich nicht trennen - was generell bei gesellschaftlichen Trends vorkommt. Beispielsweise wird die 80er-Jahre-Mode wieder von einer groĂen gesellschaftlichen Schicht als etwas Attraktives gesehen. Auch gibt es in der Gesellschaft fast einen moralischen Imperativ, der sagt, das alle ganz individuell sein mĂŒssen. Aber IndividualitĂ€t spielt sich in einer Peergroup ab. So ist das dann auch mit dem Körperschmuck: machen Freunde, macht das Umfeld das, dann sieht man es möglicherweise als attraktiv an oder als unbewussten Zwang, das man es auch tun möchte.
Welche Körperregionen sind denn besonders beliebt?
Hofmeister: Wenn man seine TĂ€towierungen zeigen möchte, sind es bei MĂ€nnern die Arme, vor allem die Oberarme, der RĂŒcken und die Schultern. Bei Frauen ist es der SteiĂ, Arme, Beine und RĂŒcken. TĂ€towierungen werden aber als etwas Privates empfunden, was auch nicht zwingend sichtbar sein muss. Es gib Untersuchungen von Arbeitgebern, die Tattoos und Piercings ablehnen. Der Trend geht hin zu mehr TĂ€towierungen, die aber nicht zwingend sichtbar sind.
Lassen sich heute mehr Menschen tÀtowieren als noch vor zehn Jahren?
Hofmeister: Ja, gerade bei Frauen ist eine starke Steigerungsrate in den Untersuchungen zu beobachten, obwohl TĂ€towieren eher mĂ€nnliche konotiert ist. Bis zu 26 Prozent der sehr jungen Frauen von 14 bis 24 Jahre lassen sich heutzutage tĂ€towieren oder sind bereits tĂ€towiert. Das berĂŒhmte Arschgeweih, bei dem man leicht an eine JugendsĂŒnde von vor zehn Jahren denken könnte, ist immer noch sehr beliebt. Etwa sieben Prozent der Frauen lassen sich ĂŒber dem SteiĂ tĂ€towieren.
Welche Rolle spielen die Medien und Prominente bei der Entscheidung fĂŒrs Tattoo?
Hofmeister: Idole spielen auf jeden Fall ein Rolle. Es gibt einen allgemeinen Trend, sich an Vorbildern zu orientieren. Da geht um das Abgrenzen zu anderen. Es gibt kaum Mainstream, aber ganz viele Subkulturen, wo es darum geht, Idole zu identifizieren. Etwa der Handballer Stefan Kretzschmar hat dem TĂ€towieren einen groĂen Schub verpasst. Andere BerĂŒhmte wie Robbie Williams fĂŒhren dazu, dass Tattoos prĂ€sent sind und als attraktiv wahrgenommen werden. Wenn Sport- und Popstars TĂ€towierungen tragen, findet einfach eine gröĂere gesellschaftliche Akzeptanz statt.
Sie haben Körpermodifikation - also TÀtowier- und Piercingverhalten - bei MÀnnern und Frauen untersucht. Wo liegen die Unterschiede?
Hofmeister: Allgemein unterscheiden sich die Persönlichkeitsmerkmale von Menschen mit Körperschmuck nicht von denen ohne. Bei MĂ€nnern gibt es kleine Tendenzen zu höheren Extraversionswerten: MĂ€nnern wird eine höhere soziale AktivitĂ€t zugesprochen und sie bewegen sich in der Ăffentlichkeit selbstbewusster. Frauen haben niedrigere VertrĂ€glichkeitswerte, die als eine bewusste Rebellion gegen angepasstes Verhalten gedeutet werden können. Trotzdem sind die Unterschiede nicht riesig, deshalb sollten diese Ergebnisse vorsichtig gedeutet werden.
Welche Altersgruppen lassen sich am liebsten TĂ€towieren?
Hofmeister: TĂ€towierungen sind ein Abbild adoleszenter Konflikte und eine Art der Autoaggression, also sich Schmerzen zuzufĂŒgen. Wenn man TĂ€towierungen so betrachtet, dann fĂŒhren sie zu einem Autonomiegewinn, in dem man sich von der Generation, die das nicht hat, abgrenzt. Bisher haben wir nicht in die Untersuchungen einbezogen, wie stark die Tendenz ist, sich TĂ€towierungen wieder entfernen zu lassen. Das soll auch ein starker Trend werden. Dann könnte man nochmal untermauern, dass sich Jugendliche eher tĂ€towieren lassen und die Ălteren lassen es sich tendenziell wieder wegmachen. Aber so weit sind wir noch nicht. Unsere Daten sagen ganz klar: TĂ€towieren ist ein Ausdruck von Jugend, mit dem Alter nimmt der Drang danach ab.
Diplom-Psychologe Dirk Hofmeister ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl fĂŒr Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie der UniversitĂ€t Leipzig. Die Abteilung veröffentlicht regelmĂ€Ăig reprĂ€sentative Studien zur Verbreitung von TĂ€towierungen, Piercing und Körperhaarentfernung in Deutschland.
iwe/news.de