Panorama

Interview zur Polyamorie: «Als Frau wird man noch fast bewundert»

Regula Heinzelmann findet, dass Männer es schwerer haben als Frauen, polyamor zu leben. Bild: istockphoto

  • Artikel teilen:

Sie haben vor 15 Jahren ein Buch über Polygamie veröffentlicht. Hat sich seitdem etwas geändert?

Heinzelmann: Eigentlich nicht. Ich praktiziere und befürworte diese Lebensform bis heute. Damals habe ich es Polygamie genannt, heute gibt es das Wort Polyamorie. Das finde ich besser. Damals war die Jugend extrem dagegen. Das lag daran, dass sich die Eltern zum Teil wegen anderer Beziehungen ziemlich rasch scheiden ließen, was leider auch heute noch passiert. Bei Jugendlichen kam das so an wie «andere Beziehungen vermeidet man besser». Aber auch Frauen waren kritisch. Die Männer weniger, weil polyamore Beziehungen für Männer viel schwieriger sind als für Frauen.

Warum?

Heinzelmann: Es ist viel schwieriger, eine Frau zu finden, die diesen Lebensstil toleriert, als einen Mann. Es wird bei Männern auch härter beurteilt. Als Frau wird man dafür noch fast bewundert, aber als Mann wird man gleich als Macho abgetan.

Wie viele Beziehungen haben Sie im Moment?


Heinzelmann: Ich möchte das nicht beziffern. Kommt darauf an, was Sie unter Beziehung verstehen. Es gibt alte und neue Freundschaften. Ich habe seit einem Jahre einen Lebensgefährten, andere Beziehungen wiederum haben sich gelockert, sind aber reaktivierbar.

Was verstehen Sie denn unter Beziehung?

Heinzelmann: Ich verstehe darunter eine Freundschaft, die intensiv ist und lange dauert, sogar lebenslang dauern kann und die auch erotisch ist.

Wie viele Beziehungen gleichzeitig sind machbar?


Heinzelmann: Es hat sich herausgependelt, dass vier eine gute Anzahl ist. Ich möchte das aber nicht so herausstellen, weil ich früher immer als Frau mit vier Beziehungen präsentiert wurde. Es stört mich, dass man mich immer darauf reduziert. Es ist nämlich ein gesellschaftliches Konzept und hat mit meinen Beziehungen eigentlich unmittelbar gar nichts zu tun. Ich habe diese Erfahrungen. Ohne sie hätte ich mein Buch nicht schreiben können. Heute bin ich vorsichtig und sage nicht mehr, wie viele Beziehungen ich habe.

Die Männer, mit denen Sie Beziehungen haben, wissen voneinander.

Heinzelmann: Grundsätzlich ja, aber sie kennen nicht unbedingt die Namen. Wenn jemand Diskretion wünscht, muss man das akzeptieren. Man muss sich gegenseitig auch nicht immer alle Details erklären. Es gibt Partner, mit denen man das kann, und es gibt Partner, mit denen man das besser lässt.

Sind mehrere Beziehungen ein logistisches Problem?

Heinzelmann: Ich habe immer eine eigene Wohnung. Das erleichtert die Sache. Wenn es ein Zusammenleben gibt, muss man mal in die Wohnung des anderen Partners, ins Hotel oder einen Ausflug machen, ein Wochenende verbringen. Das muss man dann regeln.

Interessieren Sie sich für die anderen Beziehungen Ihrer Männer?

Heinzelmann: Ja, natürlich. Sofern die mir etwas mitteilen wollen, finde ich das in Ordnung. Es ist auch denkbar, dass ich die Partnerinnen kennen lerne. Da bin ich offen. In den 30 Jahren, in denen ich so lebe, ist das auch schon öfter vorgekommen.

Hatten Sie schon das Gefühl, dass sie jemanden betrügen?

Heinzelmann: Von mir aus nicht. Meine Partner wissen alles. Für seine anderen Partnerschaften ist dann jeder selbst verantwortlich. Es kommt ja gelegentlich vor, dass man die Probleme in einer Beziehung auf den Dritten schiebt. Wenn zwei nicht mehr miteinander auskommen, sind sie selbst verantwortlich.

Sind Sie eifersüchtig und wenn ja, wie gehen Sie damit um?

Heinzelmann: Wenn es das bei mir gäbe, hätte das auf jeden Fall nichts mit Sex zu tun. Wenn ich eine neue Beziehung anfange, sage ich klar, ich lebe Polyamorie, und dann liegt es im Belieben von jedem, das zu akzeptieren oder nicht. Wenn jemand es nicht akzeptiert, ist eine Beziehung von vornherein gar nicht möglich.

Kommt es vor, dass Ihre Männer nur Sie als Partnerin haben?

Heinzelmann: Das kann es auch geben. Das dauert dann aber auch nicht unbegrenzt. Das liegt aber nicht an mir, sondern vielleicht an der Tatsache, dass es schwierig ist, Frauen zu finden, die diesen Lebensstil akzeptieren. Aber ich schränke niemanden ein. Gleiche Rechte für beide.

Ist Polyamorie die bessere Lebensform?

Sind Sie eigentlich schon ohne Vorbehalte gegen Polygamie erzogen worden?

Heinzelmann: Ich bin so erzogen worden, dass man die Lebensform des anderen toleriert. Ich bin nicht zur Polygamie hin erzogen worden, sondern zur Toleranz. Meine Eltern sagten, wenn du so leben willst, ist das okay. Sie selbst waren aber 52 Jahre lang glücklich verheiratet.

Das ist soetwas wie der Gegenentwurf zu Ihrem Leben.

Heinzelmann: Obwohl es auch polyamore Beziehungen geben kann, die jahrzehntelang dauern. Das ist auch meine Kritik an den monogamen Beziehungen. Man wechselt alle paar Jahre seinen Partner und gibt etwas auf, das eigentlich noch gut ist, weil man eine neue Beziehung als besser einschätzt, obwohl das gar nicht so sein muss. So eine gesellschaftliche Instabilität finde ich gerade problematisch, wenn Kinder da sind.

Bei wechselnden Partnern muss man auch über Krankheiten nachdenken. Wie gehen Sie damit um?

Heinzelmann: Da muss man verantwortungsvoll mit umgehen und sich im Zweifelsfall immer schützen, wenn man jemanden nicht näher kennt. Aber diese Risiken bestehen nicht nur bei Polyamorie, sondern auch bei monogamen Beziehungen, wenn man jemanden neu kennen lernt oder die Partner häufig wechselt. Wenn ich jemanden lange kenne, weiß ich, wie der sich verhält. Außerdem rede ich viel mit meinen Partnern, da es bei meinen Beziehungen nicht in erster Linie um Sex geht, sondern auch viel um Geist. Eine Beziehung beginnt bei mir mit guten Gesprächen.

Wonach wählen Sie Ihre Männer aus?

Heinzelmann: Das sind starke Persönlichkeiten, die sich alle voneinander unterscheiden. Die Partner, die ich hatte, sind alle intelligent, tolerant, offen und haben eine gewisse Ausstrahlung. Ich suche in erster Linie nach Geist bevor ich nach Sex suche.

Ergänzen sich Ihre Männer?

Heinzelmann: Ja, natürlich, es hat ja nie ein Mensch flächendeckende Interessen.

Wie viel Zeit verbringen Sie mit Ihren Partnern?

Heinzelmann: Das ist unterschiedlich. Mit Lebensgefährten verbringe ich viel Zeit, es kann auch vorkommen, dass man ein paar Wochen am Stück zusammen ist. Mit anderen kann es sein, dass man sich nur alle paar Wochen oder Monate sieht. Man muss nicht dauernd aufeinanderhocken. Wenn eine Beziehung geistig ist, kann man immer wieder dort anknüpfen, wo man aufgehört hat.

Lieben Sie alle Ihre Partner?

Heinzelmann: Ja, man kann schon von Liebe reden, wenn etwas sehr intensiv ist oder sehr lange dauert. Liebe ist ja ein Dimensionsbegriff, der sehr viele Gefühle umfasst.

Würden Sie heiraten?

Heinzelmann: Ich bin eigentlich dafür, dass sich der Staat wenig in Privatsachen einmischt. Da möchte ich das nicht unbedingt einer staatlichen Kontrolle unterstellen. Ich war noch nie verheiratet. Falls ich heirate, müsste es für immer sein. Eine tolerante Ehe wäre mir wichtig, nicht, dass man nach ein paar Jahren wieder geschieden ist. Ich setze mich auch dafür ein, dass es eine eingetragene Partnerschaft wie für Homosexuelle auch für Heterosexuelle geben sollte. Und dass man dann auch noch einen zweiten Partner mit einbeziehen kann. Ich sehe aber im Heiraten keinen speziellen Vorteil.

Fühlen Sie sich jedem Partner gleich verantwortlich gegenüber?

Heinzelmann: Sagen wir so, ich fühle mich verantwortlich dem gegenüber, was ich mit demjenigen zusammen mache. Und verantwortlich dafür, dass ich nicht bestehende Beziehungen störe.

Ist Polyamorie die bessere Lebensform?

Heinzelmann: Ich kann nicht behaupten für jeden. Wenn zwei monogam glücklich sind, ist das okay, oder wenn jemand enthaltsam leben will auch. Solange es auf Freiwilligkeit beruht, kann man alles machen. Meistens beruht Treue bei einem Teil auch auf Unfreiwilligkeit. Ich habe festgestellt, dass sich Männer von Frauen oft unter Druck setzen lassen, treu zu sein, dass sie entweder gar nichts machen oder es verheimlichen. Ich finde das falsch, das ist eine Art Erpressung. Das passt auch nicht zu einer sogenannten Liebe.

Regula Heinzelmann lebt und arbeitet als Juristin sowohl in der Schweiz als auch in Deutschland. Im Jahr 1994 veröffentlichte sie das Buch Die neuen Paare. Anleitung zur Polygamie.

iwi/news.de