Erste Hilfe: So sind Sie rechtlich abgesichert
Von news.de-Redakteur Andreas Schloder
21.03.2019 15.12
Stellen Sie sich vor, Sie finden eine leblose Person in der Bahnhofstoilette, bei der der Grund für die Bewusstlosigkeit in Form von leeren Flaschen offensichtlich ist: Alkohol. Sprechen Sie die Person an und verständigen den Rettungsdienst, obwohl der oder die Betroffene doch nur den Rausch ausschlafen will?
In Deutschland ist dies keine Selbstverständlichkeit, wie Adina Beyer jeden Tag aufs Neue in ihrer Arbeit zu spüren bekommt. Die Leipzigerin kümmert sich seit sieben Jahren beim Deutschen Roten Kreuz um die Erste-Hilfe-Breitenausbildung und die Schulung des Sanitätsdienstes. Und hält die aktuelle Hilfsbereitschaft für mehr als bedenklich. «Es ist ein gesellschaftliches Phänomen, dass die Hilfeleistung zunehmend abnimmt. Es entsteht ein Denken mit Scheuklappen», bemängelt die Ausbilderin und fügt hinzu: «Dabei ist jeder verpflichtet, Erste Hilfe zu leisten. Ohne schwinden die Überlebenschancen des Betroffenen.» Egal, wie die Hilfe aussehe.
Das sieht auch der Staat so: Laut Strafgesetzbuch (§ 323 c) «wird der bestraft, der bei Unglücksfällen, gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen nach zuzumuten, insbesondere ohne erhebliche Gefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten möglich ist». Zu Deutsch: Wer tatenlos zusieht, der muss mit Strafen von bis zu einem Jahr Gefängnis und empfindlichen Geldbußen rechnen. Am Unfallort kann dies eine zusätzliche Barriere sein, die lebensrettenden Maßnahmen auszuführen. Zu groß die Hemmschwelle, etwas Falsches zu tun.
Unwissenheit kann nicht bestraft werden
«Man muss aber den Ersthelfern die Angst nehmen», beruhigt Beyer. «Niemand kann für Unwissenheit bestraft werden», so die Leipzigerin. Denn in Deutschland ist ein Erste-Hilfe-Kurs nur im Rahmen der Führerscheinausbildung verpflichtend – ein Auffrischungskurs sei hingegen schon wieder freiwillig.
Deswegen käme es Beyer zufolge in Deutschland kaum zu Verurteilungen. Dafür gäbe es einfach zu viele Freiräume. Verurteilt wird in der Regel nur der, der vorsätzlich handelt - beispielsweise einer bestimmten Person bewusst nicht helfen will. Oder aber grob fahrlässig vorgeht - wenn etwa die Unfallstelle nicht ausreichend abgesichert ist und er so sich und andere der Lebensgefahr aussetzt. «Ein Ersthelfer, der nach bestem Wissen und Gewissen handelt, kann strafrechtlich nicht verfolgt werden», erklärt die Leipzigerin. Denn es dürfe nicht vergessen werden, dass die Erste Hilfe eine Ausnahmesituation sei. «Man steht unter Strom und Stress, da bekommt man nicht alles mit», weiß Beyer aus Erfahrung.
Doch wie verhalten? «Es ist ein böser Irrglaube, dass das Absetzen des Notrufes unter der Nummer 112 nicht ausreiche. Und den kann wirklich jeder absetzen», ist Beyer überzeugt. Wichtig sei aber, sofort zu sprechen, nachdem sich die Rettungsleitstelle meldet. Denn die Mitarbeiter sind so geschult, nach wenigen Sekunden die Verbindung zu kappen, wenn sich keiner melde. Um für den nächsten Ernstfall parat zu stehen.
Apropos Schulung: Die Experten sind so ausgebildet, nachzufragen, wenn der Anrufer mit der Situation überfordert ist. Dabei werden schon vor dem Eintreffen des Rettungsdienstes die wichtigsten Informationen geklärt. Absolut wichtige Details für den Rettungsdienst sind Angaben zum Ort, wie viele Personen verletzt und – falls möglich – welche Arten von Verletzungen es sind. Und: immer auf Rückfragen warten.
Andere Staaten, wie beispielsweise die USA sind hier Deutschland weit voraus, weiß Beyer. «In Amerika unterstützt der Mitarbeiter der Rettungsstelle den Anrufer, bis der Arzt vor Ort eintrifft», weiß die Expertin. Ein Pilotprojekt in Berlin nach dem selben Prinzip brachte vor zwei Jahren einen ähnlich guten Erfolg. Doch das Projekt musste aus Kostengründen eingestampft werden.
Bei der weiteren Ersten Hilfe vor Ort käme es laut Beyer auf die Kombination aus «logischem Menschenverstand und Bauchgefühl» an. «Man sollte vor Ort nach weiteren Helfern suchen, denn zwei Leute helfen mehr als einer», erklärt die Ausbilderin.
Für den Helfer entstehen keinerlei Kosten
Die meisten Ersthelfer sind anfangs überfordert, da sie befürchten, verklagt zu werden, falls sie der verletzten Person zusätzlich weh tun. «Grundsätzlich gibt es keinen Anspruch auf Schadensersatz – außer man handelt vorsätzlich», erklärt die DRK-Fachkraft. Die Kosten für Folgeschäden übernehmen die Krankenkassen sowie die gesetzliche Unfallversicherung. Letztere zahlt auch, wenn der Ersthelfer selbst verletzt wird. Muss bei der Bergung einer verletzten Person beispielsweise eine Fensterscheibe eingeschlagen oder eine Tür aufgebrochen werden, muss man nicht persönlich für den Schaden haften - auch hier kommt die Unfallversicherung auf.
Besonders im Umgang mit Älteren ist Fingerspitzengefühl gefragt, weiß Adina Beyer aus eigener Erfahrung. «Gerade sie haben Scheu, im Mittelpunkt zu stehen, und Angst vor den Kosten des Rettungsdienstes. Dabei entstehen für die verletzte Person keinerlei Kosten. Der Ersthelfer muss versuchen, einfühlsam die Angst zu nehmen», so die Expertin.
Hier lesen Sie, bei welchen Rettungsgriffen das Bauchgefühl nicht ausreicht.
som/ivb/news.de