Sauberkeitserziehung: Besser keine Dressur
Von news.de-Redakteurin Nadine Faßhauer
18.10.2017 22.40
Die Schwiegermütter dieser Welt haben den Kampf gegen die Stoffwindel tatsächlich früh begonnen: In den fünfziger und sechziger Jahren wurden Kleinkinder bereits mit neun Monaten über einen Topf oder eine Windel gehalten. 64 Prozent aller Eltern haben so versucht, ihre Sprösslinge zeitig trocken zu legen. Mit 12 Monaten waren es fast über 90 Prozent. Dennoch sind die Kinder damals nicht früher sauber geworden, erläutert die Entwicklungspsychologin Svenja Lüthge: «Das ist der Trugschluss dabei. Es haben zwar alle früher versucht und die Kleinen wurden mehrmals am Tag aufs Töpfchen gesetzt, sie sind aber nicht früher sauber geworden, als heutzutage».
Durch ein Training könne man den Kindern laut Lüthge das Töpfchen zwar ein Stück weit anerziehen, «von der rein körperlichen Entwicklung ist es aber so, dass Kinder erst zwischen dem zweiten und dritten Lebensjahr die körperliche Konstitution besitzen, um ihre Blase und ihren Darm kontrollieren zu können». Ein einjähriges Baby ist demnach körperlich überhaupt noch nicht in der Lage, aufs Töpfchen zu gehen.
Um auf Windeln zu verzichten, müssen Muskeln, die bisher einem Reflex folgten, willkürlich betätigt werden. Zudem muss der Nachwuchs begreifen, was von ihm verlangt wird und welche Vorgänge sich beim kleinen und großen Geschäft in seinem Körper abspielen. «Um zu einem längerfristigen Erfolgserlebnis für sich selbst zu gelangen, muss ein Kind sozusagen in sich hineinfühlen können und ein Gespür für sich selbst und den eigenen Körper entwickeln» erklärt Lüthge. Es sollte außerdem schon alleine zu seiner Toilette gehen und seine Hose selbst hoch- und runterziehen können. Und dies können Kinder laut der Entwicklungspsychologin frühestens mit 26 Monaten.
Dem Kind Zeit lassen
Alle Versuche, die früher gestartet werden, können als Dressurakt beschrieben werden und bringen weder dem einen noch dem anderen etwas. In der Vergangenheit gab es oft regelrechte Töpfchenzeiten – meist alle drei Stunden. Die Heranwachsenden wurden quasi nach Plan zum Pullern gebracht. Gut sei das für die psychologische Entwicklung laut Lüthge nicht gewesen: «Durch zu frühes Topftraining kann man entwicklungspsychologische Störungen hervorrufen».
Demnach könnten auf die Toilette gezwungene Kinder Autoritätskonflikte entwickeln, unter Schuldgefühlen leiden und dazu neigen, sich zu sehr anzupassen und keinerlei Selbstbewusstsein zu besitzen. «Wenn ein Kind selbst entscheiden kann, wann es zur Toilette gehen möchte, ist das ein Schritt in die Selbstständigkeit. Wird dies von oben bestimmt, nimmt man dem Kind Freiräume», so die Kieler Psychologin.
Ist der Sprössling etwas über zwei Jahre alt, kann mit der Sauberkeitserziehung begonnen werden. Wichtig ist hierbei, dass der Nachwuchs eine Eigeninitiative entwickelt und deutlich zeigt, dass er alleine aufs Klo gehen möchte. Man bietet zu dem Zeitpunkt das Töpfchen an, an dem das Kind gewöhnlich Stuhlgang hat. Ab dann heißt es: üben, üben, üben. Bis wirklich auf die Windel verzichtet werden kann, dauert es meist mehrere Wochen.
Der Zögling sollte in der Lage sein, entsprechende Körperempfindungen mitzuteilen, damit die Eltern die Möglichkeit haben, rechtzeitig helfend zu begleiten. Der Sommer ist eine gute Jahreszeit, um mit der Sauberkeitserziehung zu beginnen. Bewegt sich der Knirps ohne Windeln, spürt er, wenn etwas daneben geht. Ungünstige Zeitpunkte sind ein Umzug, eine Krankheit oder die Geburt eines Geschwisterchens. Das Kind ist innerlich mit anderen Themen beschäftigt und kann sich nicht auf sein Geschäft konzentrieren.
Zweijährige Racker interessieren sich sehr für ihre Umwelt. Ihnen fällt auf, wenn Erwachsene auf die Toilette gehen. Ein natürlicher Umgang mit dem Thema erleichtert es dem Kind, selbst ein unverkrampftes Verhältnis zu seinen Ausscheidungen zu entwickeln. Zudem gucken sie sich laut Lüthge die Verhaltensweise ab. «Wie man sich hinsetzt, Papier benutzt, die Spülung betätigt und die Bürste verwendet. Ihr Töpfchen steht deshalb am besten im Bad bei der großen Toilette». Landet etwas im Töpfchen, sollte man seinen Nachfahren loben und sich gemeinsam über einen großen Fortschritt in Richtung Selbstständigkeit freuen.
Töpfchen oder Toilettenaufsatz?
Ob nun ein grünes Plastiktöpfchen oder ein rosa Aufsatz den Toilettengang lehren, hängt jeweils vom Kind ab. Bei Kleineren eignet sich eher ein Töpfchen, dort können sie bequem sitzen, sie kippeln nicht und können nicht zur Seite wegfallen. Einige Kinder haben bei einem Toilettenaufsatz Angst, sie könnten in die Schüssel fallen - dann muss ein Hocker vorgestellt werden. «Ist das Kind zu ängstlich, kann es sich nicht entspannen und somit auch kein Geschäft machen.» empfiehlt die Psychologin. Am besten probiert man es mit seinem Wildfang zusammen aus.
Ein wesentlicher Vorteil des Töpfchens: Der Erfolg ist hinterher sichtbar. Die Kinder können begutachten, was sie produziert haben. «Sie sind stolz auf ihr Häufchen und finden es Klasse, es in die Toilette zu kippen», erzählt Lüthge, die selbst zweifache Mutter ist.
Wenn mal was daneben geht
Grundsätzlich gilt: Ist das Kind gesund, wird es irgendwann trocken. Dies kann bis in das vierte Lebensjahr hinein dauern. Doch selbst wenn die Windel schon lange kein Thema mehr ist, können kleine Unfälle passieren. «Wenn Kinder spielen oder aufgeregt sind, geht manchmal etwas in die Hose. Das ist völlig normal» beruhigt Lüthge. Gelassen bleiben ist hierbei das A und O: Man sollte seinen Schützling wegen des Ausrutschers nicht tadeln. Am besten sorgt man vor: Ohne Reservekleidung sollte man die erste Zeit nicht aus dem Haus gehen.
naf/reu/news.de