Scheinschwangerschaft: Der Schein vom Babybauch trügt
Von news.de-Redakteurin Katharina Schlager
25.03.2014 10.39
Die Menstruation bleibt aus, die Brüste spannen und schmerzen, der Tag wird von Übelkeit und Erbrechen begleitet und der Bauch wächst. Alles deutet auf eine Schwangerschaft hin. Ein Trugschluss. Denn was die Psyche sich vielleicht so sehr wünscht, wird vom Körper mit allen Symptomen ausgeführt und vorgegaukelt. Aber ohne das erhoffte Ergebnis: ein Baby. Scheinschwangerschaften haben offiziell ihre Bedeutung in der Gynäkologie verloren. Aber das liegt nicht daran, dass sie nicht entstehen, sondern, weil die moderne Diagnostik sie sehr früh entkräften kann.
«Alle Symptome einer Schwangerschaft sind da, nur liegt einfach keine vor», erklärt die Frauenärztin Dr. Ingeborg Reckel-Botzem. Der imitierte Babybauch kommt meist durch unbewusstes Luftschlucken und daraus resultierende Blähungen zustande. Auch vermehrtes Essen durch scheinbare Heißhungergelüste führen zum kugelrunden Bauch ohne Baby. «Die Psyche interagiert ganz intensiv mit dem Körper», so Reckel-Botzem. Selbst von Kindsbewegungen und wehenähnlichen Kontraktionen haben Betroffene in weit vorangeschrittenen Stadien berichtet. Aber solche Fälle kommen heute fast gar nicht mehr vor.
Dieses intensive Zusammenspiel zwischen Körper und Psyche sei gar nicht so ungewöhnlich. Denn auch sonst reagiere der Zyklus sehr stark auf die Psyche und auch Männer könnten Symptome einer Schwangerschaft, wie etwa Übelkeit und Gewichtszunahme, aus Solidarität zur schwangeren Partnerin entwickeln.
Ein psychisches Problem
Eine Scheinschwangerschaft entstehe vor allem dann, wenn sich eine Frau ein Kind besonders intensiv wünscht. Oder aber auch wenn eine große Angst vor einer Schwangerschaft besteht. «Das ist ein psychisches Problem», betont Reckel-Botzem. So habe sie einmal erlebt, dass eine 49-jährige Patientin erst in einem recht späten Stadium, bei dem sie bereits glaubte, zu fühlen, dass sich das Kind bereits bewegt, zur Diagnose kam. «Bei den Bewegungen hat es sich nicht um ein Kind gehandelt, sondern wahrscheinlich um falsch interpretierte Darmbewegungen», so Reckel-Botzem.
Dennoch werden betroffene Frauen oft gar nicht zu einer psychologischen Beratung weiter verwiesen. Dabei wäre das unbedingt nötig, findet die Psychologische Psychotherapeutin Constanze Weigle, die sich auf Schwangerschaftsbegleitung spezialisiert hat. «Es wäre sehr sinnvoll, sich mit dem übersteigerten Kinderwunsch oder der Angst auseinanderzusetzen», sagt sie. Auch sei es wichtig zu sehen, was mit der Frau passiert, wenn sie realisieren muss, dass sie sich die Schwangerschaft nur eingebildet hat und nun allen erzählen muss, dass sie gar kein Baby erwartet.
Mit der Ultraschalldiagnose, die beim Frauenarzt inzwischen meist schon sehr früh bei Verdacht auf eine Schwangerschaft durchgeführt wird, kommt schnell der Befund: Es wächst kein Baby heran. Die Gebärmutter ist leer. Damit habe sich der Fall häufig erledigt. «Wenn die Ergebnisse nicht schwanger anzeigen, dann ist das sicher», sagt Reckel-Botzem. Die Symptome entwickeln nach der Nachricht gar nicht das Ausmaß, einen großem Babybauch vorzutäuschen und bilden sich zurück. Die ausgebliebene Regel und die frühen Symptome werden somit nicht erst als Scheinschwangerschaft betitelt und reifen gar nicht erst zu diesem Phänomen heran. Die Betroffene bleibt mit ihrer Hilflosigkeit oft alleine.
Auch wenn Scheinschwangerschaften damit kaum noch in die Statistik fallen, hält es Weigle durchaus für möglich, dass das Phänomen zumindest in seinem sehr frühen Stadium häufiger vorkommt als es tatsächlich als solches registriert wird. «Es kommt ja auch umgekehrt immer wieder vor, dass Frauen ihre Schwangerschaft bis zur Geburt völlig verdrängen», gibt die Psychotherapeutin zu bedenken.
Scheinschwanger oder unregelmäßiger Zyklus?
Die Schwierigkeit sei, dass in dem frühen Stadium kaum festgestellt werden kann, ob es sich um eine tatsächliche Scheinschwangerschaft handelt und psychologische Hilfe dringend nötig ist oder ob der Zyklus einfach ein wenig durcheinander geraten ist, ohne dass ein ernstzunehmendes Problem vorliegt. «Manchmal hört man im Gespräch heraus, ob mehr dahinter steckt», hat Reckel-Botzem die Erfahrung gemacht.
Constanze Weigle ist aber davon überzeugt, dass es in der Betreuung noch ein großes Defizit gibt. Denn Frauenärzte seien oft nicht dafür ausgebildet, um bei ihren Patientinnen hellhörig zu werden, wenn diese zusätzliche Hilfe brauchen. Das sei auch in anderen Bereichen rund um die Schwangerschaft so, beklagt Weigle. «Da müsste eine viel größere Kooperation zwischen Psychologen und Frauenärzten stattfinden», fordert sie.
Denn: Obwohl heute keine Frau mehr aus gesellschaftlichem Zwang möglichst schnell schwanger werden muss, um ihre Ehe zu validieren, sei das Thema Schwangerschaft alles andere als von Sorglosigkeit geprägt. Der Druck, dem sich Frauen, die sich für ein Kind entscheiden, aussetzen, sei heute sogar noch größer, findet Weigle. Denn: Wer nicht alle medizinischen Möglichkeiten der Pränataldiagnostik ausnutzt, nicht alle Tipps der gesunden Ernährung und anderen Ratschläge befolgt, der hat seine Verantwortung für das Kind nicht erfüllt. «Kam früher ein krankes Kind zur Welt, dann konnte niemand etwas dafür», gibt Weigle zu bedenken. Heute würden sich Eltern fühlen, als hätten sie in der Schwangerschaft versagt.
Zwar gebe es für Frauenärzte eine psychologische Grundausbildung, sodass durchaus viele Probleme früh erkannt werden, betont Reckel-Botzem. Aber nicht jedes Problem wird im Gespräch mit dem Frauenarzt offen auf den Tisch gelegt und viele Patientinnen würden auch ablehnend reagieren, wenn auf eine Begleittherapie hingewiesen werde.
ivb/news.de