Späte Scheidung: Das verflixte 25. Jahr
Von Bettina Levecke
10.02.2010 19.17
Auf dass nicht erst der Tod scheidet: Wer glaubt, nach einem Dutzend Ehejahren auf der sicheren Seite zu sein, irrt. «Früher fanden die meisten Scheidungen bis zum zehnten Hochzeitstag statt», sagt die Professorin für Psychologie, Insa Fooken, von der Universität Siegen.
«Heute ist die auffälligste Zunahme zwischen dem 10. und 20. Ehejahr.» Auch nach der Silberhochzeit steigt die Trennungskurve an und bei Langzeitehen nach 30 oder mehr Ehejahren. Die späte Trennung ist oft eine Folge vieler Jahre Unzufriedenheit.
«Wir haben hier immer wieder Frauen, die haben goldene Hochzeit gefeiert und wollen trotzdem, dass ihre Ehe endlich ein Ende hat», sagt Gudrun Skowronnek vom gemeinnützigen Selbsthilfeverein Forte in Berlin. Den Schlussstrich ziehen in den meisten Fällen die Frauen: «Früher war es für eine Frau über 50 undenkbar, sich vom Gatten zu trennen», sagt die Autorin Sissi Traenkner, die für ihr Buch mit vielen Betroffenen gesprochen hat. «Heute sind Frauen mutiger und finanziell selbstständiger.»
Insa Fooken erforscht seit vielen Jahren das Phänomen der späten Trennung. «Sich nach vielen Ehejahren scheiden zu lassen, ist immer noch mit Scham verbunden, aber das Tabu weicht langsam auf», sagt sie. Warum Paare nach einem halben gemeinsamen Leben plötzlich getrennte Wege einschlagen, hat vielfältige Gründe.
Die Kapriolen der Männer
Gerda Skowronnek erlebt in ihren Beratungen immer wieder, dass die Frauen unter den Kapriolen ihrer Männer leiden: Manche Männer wünschten sich auch im hohen Alter noch täglichen Sex. «Und wenn ihre Partnerinnen ihnen das nicht ausreichend geben, suchen sie sich eben andere Frauen dafür», erzählt sie. Spätestens dann ist für viele Partnerinnen Schluss mit lustig: «Frauen wollen keine Ehe zu Dritt führen, sondern klare Verhältnisse.»
Die Differenzen bestünden meistens schon seit vielen Jahren: «Viele Frauen der älteren Generation sind finanziell abhängig vom Partner und müssen um jeden Euro bitten», sagt Sissi Traenkner. Oder die Sprachlosigkeit zersetzt die Liebe: «Wenn die Kinder ausgezogen sind, es im Haus ruhig geworden ist und alltägliche Familienaufgaben wegfallen, fallen Partner wieder auf sich selbst zurück», erklärt Manfred Frigger, Leiter der Eheberatung in Paderborn, die kritische «Empty-Nest»-Situation, die oft nach der Silberhochzeit entsteht.
Insa Fooken hat 125 Paare, die länger als 25 Jahre verheiratet waren, befragt und ähnliche Auslöser gefunden: «Oft sind es starke Veränderungen im Leben wie der Auszug der Kinder, der Beginn des Ruhestands oder der Tod der Eltern, die Paare in die Knie zwingen.» Auch Gewalt oder Süchte führten häufig irgendwann zu einer Trennung. «Das kann ein sehr langer Prozess sein, bis der Partner oder die Partnerin bereit ist, die Koffer zu packen.»
Oft sei dieser Schritt aber auch die Folge einer innerlichen Entwicklung: «Wer heute 50 ist, hat noch locker 30 Jahre vor sich», sagt Sissi Traenkner. Und das stellt sich die Frage: Was will ich im Leben noch erleben?
Der starke Wunsch, sich selbst zu verwirklichen
«Unglücklich verheiratete Menschen, die sich diese Frage bewusst stellen, sehen ihren Partner dann nicht mehr an ihrer Seite», erklärt Traenkner. Frei nach dem Motto «Es muss in diesem Leben mehr als nur eine langweilige Ehe geben» sei die Trennung stark mit dem Wunsch verbunden, sich selbst zu verwirklichen. «Es ist leider so, dass besonders Frauen sich in ihrer Ehe zu sehr den Wünschen des Partners oder den Bedürfnissen der Familie angepasst haben und dabei selbst auf der Strecke geblieben sind», sagt Skowronnek. «Und dann wächst mit den Jahren der Wunsch, auch mal an sich zu denken.»
Wenn die Partnerin dann mit den Scheidungspapieren wedelt, fallen ihre Männer häufig aus allen Wolken. «Obwohl Frauen über Jahre Signale senden, sind viele Männer schlicht ahnungslos», sagt Traenkner. «Männer neigen eher als Frauen dazu, Eheprobleme zu verdrängen oder sich damit zu arrangieren.»
Manfred Frigger erlebt in seiner Beratung täglich Paare, die sich auseinandergelebt haben. «Zu mir kommen allerdings hauptsächlich Paare, die um ihre Liebe kämpfen wollen.» Doch die Probleme gleichen den Scheidungsgeschichten: Sprachlosigkeit, keine gemeinsamen Interessen, Langeweile, Frust. «Nach Jahrzehnten aktiver Berufs- und Familientätigkeit stellen viele Paare fest, komplett aneinander vorbeigelebt zu haben.» Die Frage «Was bedeuten wir uns eigentlich?» sei dann oft gar nicht so einfach zu beantworten.
«Zu einer Trennung muss es nicht kommen», sagt Skowronnek vom Selbsthilfeverein Forte. Besonders junge Paare hätten heute die Chance, aus den Fehlern der Alten zu lernen: Gemeinsame Interessen pflegen, viel miteinander sprechen, auf Gleichberechtigung achten: «Gestalten Sie Ihre Ehe bunt, damit sie kein Ödland wird.» Nicht immer gelingt das von alleine, ergänzt Fooken. «Paare sollten sich frühzeitig kompetente Hilfe suchen, wenn sie merken, dass es Probleme gibt.» Oft führe der Weg nämlich erst in eine Eheberatung, wenn die Fronten schon verhärtet sind.
car/news.de/dpa