Gesundheit

Klostermedizin: Heilen wie die Nonnen und Mönche

Die Kamille - ein Beispiel aus der Klostermedizin mit vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten: Zahnfleischentzündungen, Hauterkrankungen und Menstruationsbeschwerden. Bild: ddp

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Herr Mayer, was genau ist mit Klostermedizin gemeint?

Mayer: Die Klostermedizin ist eine Epoche in der europäischen Medizin, die vom frühen Mittelalter, 7./8. Jahrhundert, bis zum hohen Mittelalter, 12./13. Jahrhundert, geht. In dieser Epoche hatten die Nonnen und Mönche das Monopol auf die medizinische Versorgung, weil sie die einzigen waren, die lesen und schreiben konnten, und weil sie dadurch die medizinische Tradition der griechischen Ärzte weiterführen konnten. Außerdem hat Benedikt von Nursia in seiner Klosterregel geboten, dass in jedem Konvent mindestens eine Person auf dem medizinischen Gebiet ausgebildet ist.

Wann verloren die Klöster ihre Monopolstellung und warum?

Mayer: Diese Monopolstellung haben sie im 12./13. Jahrhundert verloren, weil es von dieser Zeit an Universitäten gibt und akademisch ausgebildete Ärzte. Das heißt aber nicht, dass die Klöster ihre medizinsche Versorgung aufgegeben haben.

Warum ist die Klostermedizin des Mittelalters so bedeutend, dass sich eine Forschergruppe der Universität Würzburg damit beschäftigt?

Mayer: Die Klostermedizin ist praktisch unsere traditionelle Medizin. Wir von der Forschergruppe haben uns gedacht, dass viele Menschen eine Naturmedizin haben wollen. Sie wenden sich dann an die traditionelle chinesische Medizin oder an Ayurveda aus Indien. Dabei haben wir in Europa selbst eine medizinsche Tradition, die mindestens genau so gut ist wie die asiatischen Konzepten. Und wir glauben auch, dass die in Europa entwickelte Klostermedizin vielleicht sogar günstiger ist für die Menschen, die hier leben, weil sich solche Konzepte nicht so einfach von dem einen Kulturkreis in den anderen Kulturkreis übertragen lassen. Außerdem: Warum sollen wir das Wissen aus der Klostermedizin brachliegen lassen?

Was hat die Forscherguppe seit ihrer Gründung im Jahr 1999 geleistet?

Mayer: Wir haben wichtige historische Handschriften gesichert, wir haben eine Datenbank erstellt, in der die Heilpflanzen aufgeführt sind, die uns in alten Dokumenten begegnet sind - und das sind weit über 500. Und wir haben Anregungen für einige Arzneimittel gegeben, die in Apotheken erhältlich sind. Darüber hinaus haben wir bereits einige Bücher veröffentlicht, das Handbuch der Klosterheilkunde zum Beispiel.

Bei Klostermedizin denken viele spontan an Hildegard von Bingen – wie wichtig war sie für diese Epoche?

Mayer: Hildegard von Bingen spielt eine Sonderrolle, sie ist nicht typisch für die Klostermedizin. Sie benutzt zwar einige Elemente aus der Klostermedizin und aus der ganzen medizinischen Tradition, aber sie nimmt auch volksmedizinische Aspekte auf, und vor allem hat sie ganz eigene Anschauungen von Heilpflanzen und Heilmethoden.

Was halten Sie von ihren Heilmethoden?

Mayer: Zum Teil ist das sehr spektakulär, was sie gemacht hat. Sie hat einige Arzneipflanzen eigentlich erst so richtig entdeckt – darunter die Ringelblume, die Arnika montana und das Maiglöckchen. Aber sie hat auch giftige Pflanzen verwendet. Das Maiglöckchen zum Beispiel, aber auch die Wolfsmilchgewächse sind giftig. Es gibt viele Arzneipflanzen, die man heute nicht mehr so verwenden würde, weil sie giftig oder schädlich für die Leber sind oder krebserregende Stoffe enthalten. Das wusste man damals einfach nicht.

Was hat Hildegard von Bingen damals mit Ringelblume und Arnika montana gemacht?

Mayer: Die Ringelblume hat sie gegen Hauterkrankungen eingesetzt, sie hat ein Salbenrezept hinterlassen. Und die Arnika montana setzte sie bei Blutergüssen ein.

Haben Sie ein Lieblingskraut?

Mayer: Ich habe sogar mehrere Lieblingskräuter. Unter anderen Salbei, Thymian und Fenchel, der jetzt gerade Arzneipflanze des Jahres ist. Das sind sehr wichtige alte Heilpflanzen der Klostermedizin.

Und was bewirken diese drei Pflanzen?

Mayer: Fenchel wird bekanntlich bei Säuglingen gegen Blähungen eingesetzt. Hildegard von Bingen hat ihn allerdings bei Schnupfen verwendet: Sie empfiehlt, die Fenchelsamen auf eine heiße Platte zu legen und den Dampf, der dabei entsteht, einzuatmen. Den Salbei kann man sogar gleich so verwenden. Wenn man zum Beispiel ein leichtes Kratzen im Hals hat oder die ersten Erkältungssymptome verspürt, dann nimmt man am besten ein Salbeiblatt oder zwei und kaut diese. Das schmeckt zwar nicht so gut, aber es wirkt sofort. Man kann natürlich auch einen Salbeitee oder einen Salbeibonbon nehmen. Und Thymian ist eines der besten Hustenmittel. Er enthält Thymol - das stärkste antivirale Mittel, das wir in der Natur finden.

Warum der Beifuß die Mutter aller Kräuter ist

Eines der wichtigsten Kräuter, wie ich gelesen habe, war Beifuß. Wobei kam dieses Kraut zum Einsatz?

Mayer: Beifuß ist sogar die Mutter aller Kräute, weil es ein Mutter- oder Frauenkraut war. Man hat es vor allem bei Frauenleiden eingesetzt, insbesondere bei Menstruationsbeschwerden, aber auch bei Magen-Darm-Erkrankungen, und da spielt es heute auch noch eine Rolle. Man nimmt heute allerdings den Beifuß nur noch als Gewürz bei besonders fetten Gerichten, zum Beispiel bei Gänsebraten. Interessant ist, dass der asiatische Beifuß, der ganz nah verwandt mit unserem Beifuß ist, auch gegen Malaria hilft und deshalb gerade verstärkt in Afrika angebaut und angewendet wird.

In Deutschland erleben wir seit einigen Jahren einen regelrechten Boom von Heilkräutern – im vergangenen Jahr gaben die Deutschen 1,45 Milliarden Euro aus für natürliche Heilmittel wie etwa Baldrianpräparate oder Johanniskraut. Wie ist diese Popularität der Heilkräuter zu erklären?

Mayer: Die Leute wollen eben lieber ein natürlich gewachsenes Arzneimittel und nicht so gerne etwas, das in der Retorte zusammengerührt worden ist. Außerdem ist es so, dass Heilpfanzen ein bestimmtes, ganz spezielles Gemisch darstellen. Das gilt unter anderem für das Johanniskraut, von dem wir gar nicht so genau wissen, welcher Inhaltsstoff die Hauptwirkung erzielt. Es lässt sich auch nicht synthetisch herstellen, und insofern sind solche pflanzlichen Präparate durchaus im Vorteil gegenüber rein synthetisch hergestellten Präparaten.

Wie steht denn die Schulmedizin zur Klostermedizin?

Mayer: Ich denke, dass immer mehr Ärzte, vor allem junge Kollegen, die Stärken der Klostermedizin erkennen und sie immer mehr einsetzen oder sich zumindest dafür interessieren.

Was können Schulmediziner von den Nonnen und Mönchen des Mittelalters lernen?

Mayer: Sie können unter anderem lernen, dass die Vorsorge sehr wichtig ist, dass die Ernährung sehr wichtig ist und dass Heilpflanzen ernst zu nehmende Arzneistoffe sind, den wir heute noch nutzbringend einsetzen können.

Mal ganz ehrlich: Kann man mit Heilpflanzen wirklich heilen?

Mayer: Selbstverständlich, man kann eine ganze Reihe von Leiden mit Heilpflanzen heilen: Erkältungskrankheiten oder Magen-Darm-Beschwerden. Bei Reizdarm zum Beispiel ist die Pfefferminze das ideale Arzneimittel. Allerdings muss sie so zubereitet sein, dass der Wirkstoff nicht im Magen, sondern erst im Darm zur Geltung kommt. Auch bei chronischen Erkrankungen sind die Heilpflanzen sinnvoll und den schulmedizinischen Arzneien durchaus überlegen.

Woher kommt Ihre Begeisterung für die Klostermedizin?

Mayer: Ich habe mich ursprünglich sehr stark für das Mittelalter interessiert und erst einmal Geschichte und mittelalterliche Literatur und Latein studiert. Dann habe ich festgestellt, dass es eine Naturwissenschaft gab, die kaum wirklich erfasst und untersucht worden ist. Und weil es dort sehr viel zu entdecken gibt, habe ich dies zu meinem Hauptberuf gemacht und mich mit moderner Medizin und Pharmazie beschäftigt, um diese Schätze heben zu können.

Die Klostermedizin ist uralt, Ihre Forschergruppe ist noch relativ jung. Welche Ziele haben Sie für die Zukunft?

Mayer: Die Arbeitsgruppe ist jetzt zehn Jahre alt, und ich hoffe, dass wir noch mindestens zehn Jahre weitermachen können, damit wir den gesamten Arzneischatz, den die alten Heilpflanzen bieten, heben können. Wir wollen dokumentieren, was man früher damit gemacht hat und wie sich Therapien über Jahrhunderte entwickelt haben. Und natürlich wollen wir auch darauf hinwirken, dass man heute bei Bedarf auf dieses Wissen zurückgreifen kann. Aber wir haben nicht das Ziel, die Klostermedizin als neue Therapierichtung zu etablieren.


Dr. Johannes Gottfried Mayer lehrt am Institut für Geschichte der Medizin an der Universität Würzburg und ist Koordinator der Forschergruppe Klostermedizin, die 1999 als ein gemeinsames Projekt der Uni Würzburg und des Arzneimittelherstellers Abtei gegründet wurde.

kat/news.de