Seitensprung-Mythen: Frauen verlieben sich, Männer wollen nur Sex
Von news.de-Redakteurin Claudia Arthen
14.04.2021 15.33
1. Affären beweisen, dass in der Beziehung etwas nicht stimmt
Gäbe es ein Ranking unter den Seitensprung-Mythen, würde dieser auf Platz eins landen. Demnach ist man ganz automatisch treu in einer glücklichen Partnerschaft. Alles andere wäre der untrügliche Beweis dafür, dass etwas faul ist. «Klar, es stimmt schon, dass sich viele aus einer langweiligen Ehe in die Arme eines verständnisvolleren oder leidenschaftlicheren Partners flüchten», spricht Ulrich Clement aus langjähriger Erfahrung Paar- und Sexualtherapeut. Ist eine Beziehung ausgereizt, schaue man schneller mal über den ehelichen Tellerrand und checke, ob da nicht vielleicht doch jemand Besseres im Angebot ist. «Die Bereitschaft, nach Gelegenheiten zu suchen und sich darauf einzulassen, wächst mit dem Grad der Unzufriedenheit und nicht selten erweist sich eine Affäre als Vorspiel zur nächsten Ehe», sagt der Experte. Aber: Neben der «schwierigen Beziehung» kennen Therapeuten noch eine Reihe anderer Fremdgehmotive: Neugier zum Beispiel, oder Übermut und Langeweile, aber auch Sehnsucht und Geilheit.
2. Männer sind von Natur aus untreu
Damit reden sich promiske Kerle gern heraus. Ist ja auch zu schön, von der Natur einen Freibrief ausgestellt zu bekommen und sich für nichts rechtfertigen zu müssen. Und was sagt der Therapeut? Er weist daraufhin, dass es ja Frauen sind, mit denen Männer fremdgehen (meistens jedenfalls), was bedeutet, dass Frauen «von Natur aus» mindestens genauso untreu wie Männer sind. Außerdem sind nicht alle Männer gleich. Es gibt durchaus treue Exemplare, die nicht den Steinzeit-Joker ziehen.
3. Untreue beweist: Der Fremdgeher liebt weniger als der Betrogene
Da ist laut Clement was dran. Denn wer weniger zu verlieren hat, ist eher bereit, etwas zu wagen. Es gibt aber auch den seltenen Fall, dass derjenige, der mehr liebt, eine Affäre beginnt, um herauszufinden, ob der Partner eifersüchtig wird und damit zeigt, dass ihm etwas an der Beziehung liegt.
4. Eine gelegentliche Affäre tut einer langweiligen Beziehung gut
«Kann sein, verlangt beiden Partnern aber ein hohes Maß an Konfliktbereitschaft ab», urteilt Clement. Nicht immer sei man so großmütig, in der Affäre des anderen eine Wohltat zu sehen – zumal man das normalerweise sowieso erst im Nachhinein erkenne. Wer dem faden Liebessüppchen also durch einen Seitensprung etwa Pfeffer verpassen will, kann sich schnell daran verschlucken. Denn: Langeweile ist berechenbar. Aber eine Affäre ist ein Spiel mit dem Feuer – ob die Flamme gleich erlischt, ob sie belebende Wärme ausstrahlt oder ob sich zum zerstörenden Flächenbrand ausweitet, weiß man nicht, wenn man zu zündeln beginnt.
5. Nach einer Affäre ist die Beziehung nicht mehr zu retten
Ja und nein. Unbestreitbar ist: Es bleibt eine Wunde, die manchmal nie ganz verheilt - egal, wie viel Reue der Fremdgeher zeigt und wie sehr der betrogene Partner bereit ist zu verzeihen. «Man kann zwar mit einer emotionalen Narbe leben, aber die Verletzung sitzt meist tief und verursacht besonders bei späteren Streitereien immer wieder Phantomschmerzen», erläutert Clement. Manche Partnerschaften dagegen wollen gar nicht gerettet werden. Hier erfüllt der Seitensprung seine Funktion als «exit affair»: Er treibt die Trennung voran. «Wem der Mut zu klaren Worten fehlt, wählt diese indirekte Variante, darauf bauend, dass der Partner so verletzt ist, dass er ohne langes Zögern den Weg frei macht», sagt Clement.
6. Der Betrogene trägt immer eine Mitschuld, wenn der Partner fremdgeht
Eine tolle Entschuldigung für den untreuen Partner. Sein böses, frustriertes, langweiliges Beziehungspendant habe ihn förmlich in die Arme eines anderen getrieben. «Hier sollte man die moralische und die psychologische Ebene auseinander halten», meint Clement. Psychologisch kann es durchaus nachvollziehbar sein, dass jemand ausbricht, weil es in der Partnerschaft klemmt. «Aber dies ist nur die Hintergrundmusik der Affäre, nicht ihre Ursache», erklärt der Paartherapeut. Die Schuldfrage bleibt davon unberührt: Moralisch ist der Fremdgeher ganz allein für sein Tun verantwortlich – völlig unabhängig davon, wie mies die Beziehung lief.
7. Frauen verlieben sich, Männer wollen nur Sex
Ein Mythos aus der Mottenkiste. «Das gönn ich mir» – diese Einstellung spielt auch bei Frauen eine immer größere Rolle. Sie wollen zwar nicht ihre Hauptbeziehung aufs Spiel setzen, aber ein bisschen Spaß nebenbei darf schon sein. Was ihnen dabei zugute kommt: Sie gehen in der Regel klüger vor und sind besser im Verheimlichen.
8. Ein Seitensprung zeigt, dass es im Bett nicht rund läuft
«Was ich zu Hause nicht kriegen kann, hole ich mir woanders.» Eine ziemlich simple Gleichung – wird doch alles, was da zwischen zwei Menschen passiert, auf bloße Triebkräfte reduziert. Dabei geht es meist um Motive, die zwar mit Sex verbunden sind, aber viel tiefer reichen. Man fühlt sich vom Partner nicht mehr wahrgenommen, nicht mehr begehrt, nicht mehr akzeptiert. Und dieses Paket ist es schließlich, das einen empfänglich macht für Angebote von außen.
9. Für Franzosen ist ein Seitensprung normal
Stimmt. Nicht ohne Grund spricht man vom «französischen Modell»: Ehe und Leidenschaft sind getrennte Lebensbereiche, was dem Sex einen größeren Stellenwert verschafft. Der Liebhaber ist in Frankreich sozial etabliert und toleriert. Prominentes Beispiel: Bei der Beerdigung von Francois Mitterand ging seine Geliebte einen Schritt hinter der Ehefrau Danielle. In der Realität geht es natürlich nicht immer so lässig zu. Wo Gefühle im Spiel sind, sind Dramen nicht weit – reichlich Stoff für französische Bücher und Filme, die dann oft spektakulär enden: mit Mord.
10. Fremdgehen rächt sich immer
Die große Hoffnung alles Betrogenen. Das Ganze hat nur einen Haken: Man geht davon aus, dass die Welt gerecht ist – eine schöne Illusion. Zum einen hat der Seitensprung ohnehin nur Konsequenzen, wenn er bekannt wird. Zum anderen kann es sogar sein, dass er belohnt wird: «Denn er macht Spaß, pusht das Selbstbewusstsein, bringt einen persönlich und erotisch weiter», zählt Clement auf. Wer zur Seite springt, wird überfahren? Von wegen. Die meisten werden ganz gut damit fertig – allemal besser als die Betrogenen.
Ulrich Clement ist Professor für medizinische Psychologie in Heidelberg und arbeitet als Psychotherapeut und Coach. Bekannt wurde er durch sein Buch Guter Sex trotz Liebe; seine neueste Veröffentlichtung heißt Wenn Liebe fremdgeht - vom richtigen Umgang mit Affären (Schröder-Verlag).
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