Wikileaks enthüllt RAF-Dokumente: Die geheimen US-Akten zur Roten Armee Fraktion

1977: Andreas Baader, Gudrun Enslin und ihre RAF setzen Deutschland in Brand. Generalbundesanwalt Buback, der Deutsche-Bank-Vorstand Jürgen Ponto und Arbeitgeberpräsident Schleyer müssen sterben - und die Besatzungsmacht USA schaut zu. Wikileaks enthüllt jetzt, wie entspannt der US-Botschafter den deutschen Terror kommentierte.

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Heute ist Helmut Schmidt das ewig qualmende Polit-Gewissen der Nation, der auf seiner Nikotinwolke über den Dingen schwebt. Doch 1977 war Schmidt als Bundeskanzler Hauptdarsteller in den härtesten Momenten der Bundesrepublik Deutschland - und wurde von den USA genau beobachtet:

Als die Rote Armee Fraktion, kurz RAF, im April Generalbundesanwalt Siegfried Buback mit seinem Dienstwagen in die Luft jagte. Als Mitglieder der RAF im Juni den Vorstandssprecher der Deutschen Bank, Jürgen Ponto, erschossen. Als die Terroristen der RAF im September Hanns-Martin Schleyer, Präsident des Arbeitgeberverbandes, entführten, um die Freilassung von elf Terroristen zu erreichen - darunter die nach wie vor bekanntesten RAFler, Andras Baader und Gudrun Ensslin.

Die Situation kulminiert im Oktober. Am 13. entführt die RAF die Lufthansa-Maschine Landshut und landet mit dem Flugzeug voller Geiseln in Mogadischu. Tagelange Verhandlungen, bis am 18. Oktober eine GSG9-Sondereinheit die Geiseln gewaltsam befreit. Als Reaktion darauf erschießt die RAF Hanns-Martin Schleyer und in der JVA Stuttgart-Stammheim bringen sich zeitgleich Baader, Ensslin und ihr Mitkämpfer Jan-Carl Raspe um.

«Kanzler Schmidt wirkt gut gelaunt» (US-Botschafter über Schmidt während der RAF-Entführungen)

Doch was hatten die USA, damals immerhin Besatzungsmacht in Deutschland, dazu zu sagen? Die geheimen US-Dokumente, die Wikileaks jetzt laut «Bild»-Zeitung enthüllt, drehen sich vor allem um Kanzler Helmut Schmidt. Ihr Inhalt ist einigermaßen verblüffend:

Wichtige Lebensstationen von Helmut Schmidt
Altkanzler
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  • 1918: Am 23. Dezember wird Helmut Heinrich Schmidt in Hamburg-Barmbek geboren.

  • 1939-1945: Soldat im Zweiten Weltkrieg.

  • 1942: Heirat mit seiner früheren Klassenkameradin Loki Glaser.

  • 1946: Eintritt in die SPD.

  • 1962: Als Innensenator in Hamburg macht sich Schmidt einen Namen bei der Flutkatastrophe.

  • 1967-1969: Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion.

  • 1969-1972: Verteidigungsminister im ersten Kabinett von Willy Brandt.

  • 1972: Finanzminister im zweiten Kabinett Brandt.

  • 1974: Wahl zum Bundeskanzler am 16. Mai.

  • 1977: Die RAF nimmt Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer als Geisel, im Oktober wird die Lufthansa-Maschine «Landshut» entführt. Schmidt gibt den Forderungen der Terroristen nicht nach, Schleyer wird ermordet.

  • 1982: Am 1. Oktober wird Schmidt durch ein konstruktives Misstrauensvotum gestürzt. Neuer Kanzler wird Helmut Kohl (CDU).

  • 1983: Schmidt wird Mitherausgeber der Wochenzeitung «Die Zeit».

  • 2010: Am 21. Oktober stirbt Ehefrau Loki Schmidt mit 91 Jahren.

  • 2013: Im April macht die Familie des ermordeten Arbeitgeberpräsidenten Schleyer offiziell ihren Frieden mit Schmidt. 36 Jahre nach Schleyers Tod verleiht sie ihm den Hanns-Martin-Schleyer-Preis.

  • 2013: Helmut Schmidt unterstützt vergeblich den ebenfalls aus Hamburg stammenden SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück.

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    «Während und nach des Schleyer-Kidnappings und der Landshut-Entführung wirkte Schmidt fokussiert, voller Energie und Entschlossenheit, außerordentlich gelassen und gut gelaunt für jemanden, der sich gewaltigen Entscheidungen und großem Druck gegenüber sah», schrieb der damalige US-Botschafter Walter John Stoessel aus Bonn nach Washington, wie «Bild» zitiert.

    «Schmidts Tabak-Konsum stieg erheblich, sonst zeigte er keine Nerven»

    Auch der exorbitante Tabak-Konsum des deutschen Kanzlers speziell unter Stress entging dem US-Botschafter nicht: «Sein Konsum an Zigaretten und Schnupftabak stieg während der Krise erheblich, aber sonst zeigte er keine Nerven.»

    Der Ton des US-Botschafters Stoessel wirkt gänzlich unpassend. Nach den fast schon amüsierten Sätzen über den Krisenkanzler Schmidt trieft sein weiterer Bericht vor hoffnungsvollem Pathos: «Auf einem wesentlich einfacheren Level hat die Mogadischu-Saga den Menschen in diesem Land, für einen kurzen Moment wenigstens, echte Begeisterung und Stolz gegeben. Die geretteten Gefangenen und das Einsatzkommando wurden wie Helden empfangen, komplett mit der Hymne und Reden von hochrangigen Offiziellen. Nach so vielen Wochen des Frusts wegen der Schleyer-Entführung und den bohrenden Fragen über die Stabilität ihres Landes, können die Westdeutschen jetzt einen Moment genießen, der nur ihnen gehört», zitiert die «Bild».

    Ein Hohn auf die Opfer und die heiße politische Lage 1977.

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