Schlagstöcke, Zwangsrasuren und verschimmelte Speisen - russische Gefängnisse sind berüchtigt wegen ihrer unmenschenlichen Zustände. Präsident Dmitri Medwedew will das ändern und hat ein Reformprojekt mit auf den Weg gebracht.
Die Gefängnisse in Russland gelten als «Hölle auf Erden»: Menschenrechtler beklagen blutige Misshandlungen von Insassen durch Wärter. Der russische Justizminister Alexander Konowalow selbst verglich die «unmenschlichen Zustände» mit den Straflagern zu Zeiten des Sowjetdiktators Josef Stalin - den Gulags. Wie brutal es dort zugehen kann, beschrieb auch Literaturnobelpreisträger Alexander Solschenizyn (1918-2008) in seinem Werk «Der Archipel Gulag». Nun bläst Kremlchef Dmitri Medwedew zum Angriff auf diese Altlast. Das Reformprojekt zur Humanisierung des Strafvollzugs gilt als schwerstes bisher für den studierten Juristen.
Flehend schreiben immer wieder Angehörige brutal misshandelter oder sogar getöteter Gefangener an den Präsidenten, er möge gegen die «sadistischen Knast-Aufseher» vorgehen. Bis ins kleinste Detail schildern sie in Briefen, wer welchen Häftling wo und wie gequält hat: Es geht um Schläge mit Gummiknüppeln bis zur Bewusstlosigkeit, oft auch darum, dass Wärter den Gefangenen Schlagstöcke gewaltsam anal einführen und sie den Männern dann in den Mund stecken. Weil ihr Mann diese Schändung nicht verkraftet habe, habe er sich die Kehle durchgeschnitten, schrieb Jekaterina Ustinowa in einem Brief an Medwedew.
Es sind unvorstellbare Szenen aus einem Gefängnis in der Nähe von St. Petersburg. Doch Anwälte, Menschenrechtler und die Vereinigung der Gefangenen in Russland beklagen, diese Beschwerden der Angehörigen blieben meist folgenlos für die genannten Peiniger.
Folterknechte und Schutzgeld
Die Mitarbeiter des Strafvollzugs würden diese Szenen sogar mit Videokameras aufzeichnen, berichtet Maxim Gromow von der Gefangenenvereinigung. Mit den Videos sollten neue «Folterknechte» angelernt und Gefangene abgeschreckt werden. Aus Angst würden viele Häftlinge «Schutzgeld» an die Wächter zahlen, schrieb das Fachblatt Für den Schutz von Gefängnisinsassen in seiner November-Ausgabe. In Russlands Knästen gebe es eine «ganze Armee Perverser in hochdekorierten Uniformen, die zu Dutzenden Gefangene vergewaltigen und töten», schrieb Gromow in einem Beitrag für das Blatt.
Aus allen Teilen Russlands gibt es auch Berichte über Zwangsrasuren am ganzen Körper, Wasserfolter, bei der ein Gefangener zu ertrinken glaubt, über Ernährung mit verschimmelten und madigen Speisen. Ein ausgeklügeltes System gegenseitiger Deckung, Bestechung und Erpressbarkeit sowie Schutzbehauptungen, das Personal habe sich mit Prügelstrafen nur gegen gewalttätige Insassen verteidigt, würden oft die Aufklärung dieser Verbrechen verhindern, heißt es.
Allein in der Untersuchungshaft starben 2009 rund 400 Menschen, wie der Chef der russischen Strafvollzugsbehörden, Alexander Reimer, im Radiosender Echo Moskwy einräumen musste. Als zuletzt aber unter rätselhaften Umständen auch der namenhafte Wirtschaftsanwalt Sergej Magnizki in Haft starb, begann Medwedew damit, Führungspersonal im Strafvollzug zu entlassen. «Medwedew will den Gulag abschaffen», titelte die Zeitung Nesawissimaja Gaseta Ende Dezember.
Zustände wie zu Stalins Zeiten
«Seit Stalins Zeiten hat sich in unseren Gefängnissen im Grunde nichts geändert», sagte der Regierungsbeauftragte bei den russischen Obergerichten, Michail Barschewski, der Zeitung. Er sei überzeugt, dass Medwedew mit einer Humanisierung des Strafvollzugs nach europäischen Standards in die Geschichte eingehen wolle. Der kremltreue Politologe Gleb Pawlowski nennt die Initiative die wichtigste überhaupt in der Amtszeit von Medwedew. Ohne eine «Demontage dieses auch politisierten Strafvollzugs» sei die angekündigte Modernisierung Russlands unmöglich.
Wie ernst es Medwedew mit den humanitären Reformen ist, zeigte er auch mit der jüngsten Einführung des Hausarrests, der nun als alternative Strafform statt Gefängnis verhängt werden soll. Damit soll die Zahl der landesweit rund 900.000 Insassen drastisch sinken.
Allerdings befürchtet das kremlkritische Nachrichtenmagazin The New Times, dass die Reform wie schon eine ähnliche in den 1980ern Jahren am Geld scheitern könnte. Ein Problem sei außerdem, dass das Personal zum Großteil dasselbe bleibe. Nach Recherchen des Magazins soll sich zudem die Lage für Schwerverbrecher nach den Vorgaben des Reformpapiers nicht wesentlich bessern. Der Chef der Reformkommission Wladimir Radschenko, ein früherer Richter, betonte, dass Haft weiter ihre Funktion erfüllen müsse. Dabei gehe es eben um «Abschreckung».
hav/bjm/news.de/dpa