«Deutsches Reich»: Für Reichsbürger ist die BRD eine GmbH
Kurios - krude - kriminell: Sogenannte Reichsbürger behaupten, wir lebten noch immer im Deutschen Reich und beweisen das mit selbst angefertigten Dokumenten. Für den Verfassungsschutz sind die meisten ewig gestrige Spinner, doch es gibt eine gefährliche Ausnahme.
Von news.de-Redakteurin Isabelle Wiedemeier -
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Für die revisionistischen «Reichsbürger» weht weiterhin die Reichsflagge. Bild: dapd
Neue Nazis, alte Nazis oder einfach nur bekloppt? Wer in der vergangenen Woche davon hörte, dass sich bei einer Verkehrskontrolle auf der A8 ein Paar mit Dokumenten des «Deutschen Reichs» ausweisen wollte, musste erstmal schmunzeln. Das sind Freaks, so wie diese pseudoreligiöse Vereinigung, die im Führerschein ein Nudelsieb auf dem Kopf trägt, könnte man denken.
Doch wie die Polizei in Traunstein feststellen musste, hatte sie es nicht mit spinnerten Einzeltätern zu tun, sondern mit sogenannten «Reichsbürgern», Mitgliedern einer von diversen Vereinigungen, die behaupten, noch immer im Deutschen Reich zu leben. Je nach Gruppierung ist die Bundesrepublik für sie entweder eine GmbH, eine NGO oder eine Selbstverwaltungsorganisation - alles, aber kein Staat. Deshalb tragen sie Fantasiedokumente mit sich herum, die von ihrer Gruppe selbst hergestellt wurden, und schmücken ihre Symbole mit der schwarz-weiß-roten Reichsflagge.
Reichsdeutsche Verirrungen
Ewig Gestrige und Neonazis
Er war der Vorreiter: «Reichskanzler» Dr. h.c. Wolfgang Gerhard Günter Ebel, 75, proklamiert seit 1980, dass wir im «fortzubestehen zu habenden und wiederherzustellenden Staat» Zweites Deutsches Reich leben. In gerichtlichen Gutachten wurde er mehrfach als schuldunfähig angesehen. Er bezeichnet sich unter anderem auch als «Reichsrechtlicher Rechtssachverständiger und preußisch-reichslandesrechtlicher Rechtskonsulent». Sitz seiner «Regierung» ist eine Villa auf dem ehemaligen Reichsbahngelände in Berlin-Zehlendorf, er selbst ist ehemaliger Mitarbeiter der Bahn. Seine «Minister» lässt er sich per Einschreiben mit Rückschein an die US-Botschaft «bestätigen».
Exil-Regierung Deutsches Reich
Laut Verfassungsschutz sind sie derzeit die aktivsten sogenannten «Reichsbürger», gegründet 2004 in Hannover. Die Gruppe finanziert sich unter anderem mit Ausweisen, Pässen und Führerscheinen im Chipkartenformat, die sie gegen eine monatliche Gebühr von fünf Euro ausgibt. Sie berufen sich auf das RuStAG, ein Gesetz aus dem Jahr 1913, in dem steht: «Jeder deutsche Staatsangehörige besitzt die unmittelbare Staatsangehörigkeit zum Staat Deutsches Reich.» Die BRD ist für die «Exil-Regierung» eine GmbH.
Selbstverwaltung Deutsches Reich (SVDR), auch Regierung des Deutschen Reichs
Ihr Symbol ist die Rune der Schwarzen Sonne, Zeichen der Arier der versunkenen Insel Atlantis. Die Bundesrepublik ist für sie nur eine Nicht-Regierungsorganisation und verfügt über keinerlei Staatsgewalt. Deshalb darf sich jeder Bürger unter Selbstverwaltung stellen, lautet die These. Daher stellt das «Passamt» der SVDR gegen Zahlung von 50 Euro Ausweise und Führerscheine aus. Angeblich werden die Dokumente «fast überall» akzeptiert. Gründerin und «Außenministerin» Tina Wendt vertritt eine mystische Esotherik und die Theorie vom bevorstehenden Polsprung, einem Weltuntergang, den die BRD natürlich verschweige.
Deutsches-reich.org - Amtierende Reichsregierung des Deutschen Reiches
Der Reichskanzler dieser Organisation heißt Stefan-Andreas Görlitz, der wegen Betrugs als falscher Heilpraktiker und penetranten Fahrens ohne Fahrerlaubnis mehrfach verurteilt ist. Die BRD ist für sie eine Sebstverwaltungsorganisation der Siegermächte. Auf der Homepage ist eine Pseudoregierungsstruktur aufgeführt mit allen Ministerien und Emailadressen wie aussenminister@deutsches-reich.org. Im Mai 2009 erließ die «Reichsregierung» das Gesetz über die vorläufige Ausübung der Reichsgewalt, im November aktualisierte sie die Reichsverfassung der Weimarer Republik vom August 1919 als gültige Verfassung.
Rat der Nationalversammlung, früher Deutsches Reich Komitee
«Das Deutsche Reich besitzt nach wie vor Rechtsfähigkeit, ist allerdings als Gesamtstaat mangels Organisation nicht handlungsfähig», zitiert die Organisation auf ihrer Homepage aus einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts 1973. Sie unterschlägt allerdings, dass es dort weiter heißt, die Bundesrepublik sei «identisch» mit dem Staat «Deutsches Reich». Für 60 Euro vergibt der «Rat» einen Personenausweis oder auch einen Gewerbeausweis. Auf der Homepage wird das Deutschlandlied in allen vier Strophen propagiert. «Präsident der Nationalversammlung» ist seit 2003 der Physiker Matthes Haug. Er ist auch verbandelt mit der in rechten Kreisen beliebten «Germanischen Neuen Medizin».
Präsidium des Deutschen Reichs
West-, Mittel- und Ostdeutschland will diese Organisation vereinen: Sie ist ganz dem revisionistischen Heimatgedanken verschrieben und wirbt für «13 Schritte zur Befreiung Deutschlands». Optisch garniert mit Eichenblatt und Reichsadler wird hier postuliert: «Der ewige Bund mit dem Namen Deutsches Reich, gegründet 1871, umfaßt Deutschland und seine gesamten Schutzgebiete, wie diese zum 31. Juli 1914 bestanden.» Als Amtsanschrift ist auf der Homepage das Schloss Bellevue angegeben, als «Überleitungsadresse» zudem eine Anschrift der Justitia Deutschland in Kaarst-Voorst.
Neue Gemeinschaft von Philosophen, auch Reichsbewegung
Sie sind laut Verfassungsschutz die gefährlichste Gruppe und heben sich durch ihr aggressives, ausländerfeindliches und antisemitisches Vorgehen von den anderen ab. Im Februar 2012 verschickten sie Drohbriefe an muslimische und jüdische Gemeinden und forderten zum Versenden dieser Briefe auf. Sie hüllen ihre rechtsradikale Ideologie in krude Verschwörungstheorien rund um die «neue Weltanschauung Kosmoterik».
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Der Verfassungsschutz hat die Gruppen im Blick, im Großen und Ganzen handele es sich um ein breites Spektrum von Spinnern, heißt es, viele alte Leute. Dr. h.c. Wolfgang Gerhard Günter Ebel war 1980 der erste, der sich zum Präsidenten einer Kommissarischen Reichsregierung (KRR) machte, nach seiner Gruppe werden auch die ihm nachfolgenden Vereinigungen allgemein als KRR bezeichnet.
«Reichsbürger» zahlen weder Steuern noch Bußgelder
Der Jurist Frank Schmidt beobachtet sie seit Jahren und informiert auf seiner Homepage ausführlich über ihre kruden Gedankengebilde. Grundlage ist die besondere staatsrechtliche Situation der Bundesrepublik Deutschland. Offiziell ging das Deutsche Reich mit der Kapitulation der Wehrmacht am 8. Mai 1945 nicht unter, sondern bestand fort und ging in der Bundesrepublik auf. Diese ist also nicht Nachfolger, sondern identisch mit dem Deutschen Reich. Das Bundesverfassungsgericht hat dies seit den 1950er Jahren mehrfach bestätigt.
Die selbst ernannten Reichsregierungen hingegen drehen den Spieß um und behaupten, das Deutsche Reich bestehe weiter. Ihre trotzige Konsequenz: Sie ignorieren Bußgeld- oder Steuerbescheide und erkennen Gerichtsurteile nicht an. Stattdessen fahren sie komplette Regierungen mit einem fiktiven Beamtenapparat, Richtern und Staatsanwälten auf, die wiederum mit den Organen der Bundesrepublik in «Rechtsstreit» treten. Denn Verfahren wegen Amtsanmaßung, Urkundenfälschung und Steuerhinterziehung sind bei «Reichtsbürgern» logischerweise an der Tagesordnung.
Laut Verfassungsschutz ist die Reichsbürgerschaft für viele ein Vehikel, um sich den diversen staatsbürgerlichen Verpflichtungen zu entziehen. Manche der Protagonisten mischen auch bei verschiedenenen «Reichsregierungen» mit, spalten sich mit einer eigenen Gruppe ab oder ernennen und entlassen sich gegenseitig.