Die Spermienqualität von westeuropäischen Männern sinkt rapide. Weibliche Hormone könnten schuld sein. Sie lauern offenbar im Trinkwasser und in Plastikflaschen. Droht eine östrogenisierte Gesellschaft ohne fruchtbare Männer?
Eine Toxikologin malt unser Zukunftsszenario: «Wir werden eine Verweiblichung der Gesellschaft erleben», sagt Dr. Eleonora Blaurock-Busch. Der Anteil homosexueller Männer werde steigen. Aha. «Das Gute an einer östrogenisierten Gesellschaft kann sein, dass die Kriminalität zurückgeht», prophezeit die wissenschaftliche Leiterin von Micro Trace Minerals, einem Labor für umweltmedizinische Untersuchungen in Hersbruck.
Doch auch, wenn Frau Blaurock-Busch das Positive sucht, eigentlich ist es eine Hiobsbotschaft für westeuropäische Männer. Ihre Fruchtbarkeit sank in den vergangenen 40 Jahren dramatisch. Viele Studien sind in den vergangenen Jahrzehnten zum gleichen Ergebnis gekommen, viele Tausend Männer wurden allein in Deutschland untersucht. Ein Team um Biochemiker Wulf Thierfelder untersuchte etwa mehr als 2000 Patienten der Universitätsklinik Leipzig. Zwischen 1985 und 1996 sank die Spermienzahl im Ejakulat gleichaltriger Männer um ein Drittel. Zusätzlich stieg der Anteil missgebildeter Samenzellen. Andere Spermastudien aus Deutschland und Europa zeigen in dieselbe Richtung: nach unten.
Die Alarmsirene der männlichen Reproduktionsfähigkeit schrillt. Aber so laut, so unklar sind die Gründe für den Schwund im Hodensack auch. Ein Verdächtiger hält sich dabei wacker in der Fahndungsliste: Östrogen. Es heißt, Frauen würden die über die Pille eingenommenen Hormone im Urin ausscheiden. Und Klärwerke beim Versuch, alle Stoffe und Stöffchen aus dem Abwasser zu filtern, versagen.
Forellen in Berliner Flüssen werden weiblich
Weibliche Hormone sollen so ins Trinkwasser gelangen - und damit auch in die männlichen Körper. Wie hoch der Anteil ist und welche Auswirkungen er auf die Zeugungsfähigkeit hat, darüber gibt es keine verlässlichen Angaben. Auf eine Zeit-Anfrage hin zumindest beruhigt das Bundesumweltamt: Hormonell aktive Stoffe seien bisher nirgends in Konzentrationen gefunden worden, die irgendeinen Anlass zu gesundheitlicher Besorgnis bei Menschen geben könnten.
Doch im Tierreich ist die verweiblichende Wirkung von Hormonen nachgewiesen. «Statt strammer Fischjungs nur noch impotente Schwächlinge», so warnt das Anglermagazin Esox und schlägt Alarm: «Sterben unsere Fische aus?» Nachweise im Fischsegment gibt es viele. So wurde etwa die Feminisierung von Forellen in Berliner Flüssen nachgewiesen. Leben die Fische in der Nähe eines Klärwerks, werden die männlichen Forellen fast vollständig ausgerottet. Nur noch Weibchen schwimmen umher, haben die Wissenschaftler Hansen und Dizer 1999 herausgefunden. Vor allem die Sommermonate seien schwierig, weil dann die Abwasserkonzentration in den Binnengewässern durch die Trockenheit besonders hoch ist. Zu einem ähnlichen Ergebnis kamen Wissenschaftler bei der Untersuchung von Brassen im Rhein.
Den Ablauf der Metamorphose hin zur Weiblichkeit hat US-Forscherin Karen Kidd nachgewiesen. Sie untersuchte in einem See die Population der Goldelritze, eine kleine Alternative zum Goldfisch. Die Forscherin setzte einem Teich kleine Mengen Östrogen zu. Nach dem ersten Sommer begannen die männlichen Fische, ein Protein zur Eiproduktion zu bilden. Nach einem weiteren Jahr war ihre Spermienproduktion massiv eingeschränkt. Kurze Zeit später fabrizierten die männlichen Fische Eier.
Hohe Östrogen-Konzentration in der Plastikflasche
So strittig der Östrogen-Gehalt des Trinkwassers ist, so klar ist aber, dass viele Männer regelmäßig weibliche Hormone aufnehmen. Und zwar in Form von endokrinen Disruptoren. Das sind künstlich hergestellte Substanzen, die dem weiblichen Sexualhormon ähneln. Und sie werden vor allem in der Kunststoffindustrie verwendet - zum Weichmachen oder Härten des Kunststoffs.
Problem: Die hormonähnlichen Substanzen können auslaugen und in die Cola oder das Mineralwasser gelangen. Ein Forscherteam der Frankfurter Goethe-Universität hat diesen Nachweis erbracht. «Wir haben Mineralwasser aus Glas- und Plastikflaschen verglichen und konnten zeigen, dass die östrogene Belastung in Wasser aus Pet-Flaschen etwa doppelt so hoch ist wie in Wasser aus Glasflaschen», erklärt Mitforscher Martin Wagner. «Wir mussten feststellen, dass Mineralwasser hormonell betrachtet in etwa die Qualität von Kläranlagenabwasser aufweist», so das schockierende Fazit von Projektleiter Jörg Oehlmann.
Zudem schädigt das zum Härten von Kunststoff genutzte Bisphenol A die Spermien. Dabei ist die hormonähnliche Substanz eine der meistverwendeten und gewinnträchtigsten Industriestoffe - und steckt in Schnullern und eben Getränkeflaschen.
Menschliche Unfruchtbarkeit in einigen Generationen?
«Es wäre also gesünder, eine Glasflasche zu nehmen und Wasser aus dem Hahn zu zapfen», sagt Toxikologin Dr. Eleonora Blaurock-Busch. Immerhin das scheint klar: Auch wenn das Trinkwasser mit Östrogenen belastet sein sollte, problematischer scheint der Schluck aus der Plastikflasche. Grund: Die Trinkwasserverordnung sei wesentlich strenger als die Auflagen für die Mineralwasserindustrie, die Grenzwerte für das Wasser aus dem Gestein höher als beim Nass aus dem heimischen Hahn.
So droht Männern eine steigende Östrogen-Konzentration im Körper. Unklar bleibt, ob die Spermienqualität deshalb zurückgeht. Ob die Unfruchtbarkeit naht. Welche Konsequenzen tatsächlich beim männlichen Menschen drohen, werden wir vielleicht erst in Jahrzehnten sehen. Denn wir sind ja keine Fische, die jedes Jahr Nachwuchs bekommen.
iwi/reu/news.de